Die Grundrente ist Murks

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Trotz Grundrente werden arme Rentner weiter zum Amt gehen müssen, um Grundsicherung zu beantragen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat vergessen, dass Rentner ja auch Kranken- und Pflegebeiträge zahlen müssen, was die Renten mindert. Seine Grundrente ist Murks.

Das begreifen mittlerweile immer mehr. So schreibt „Focus Online“ beispielsweise, „selbst mit Maximal-Zuschlag kommen manche Grundrenten-Empfänger nicht über Grundsicherung“. Im Schnitt rechnen Experten „Finanzen“ zufolge jedoch damit, dass Empfänger durchschnittlich 70 bis 80 Euro mehr zur Verfügung haben.

Es ist schon erstaunlich, wie sich ein Gesetzesvorschlag im Parlament so still und heimlich verändert. Das lässt sich am besten anhand der Grundrente beobachten. Was hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil nicht alles versprochen. Beispielsweise, dass ein Rentner mit 35 Beitragsjahren, der unterdurchschnittlich verdient hat, aufgestockt werden soll. Jetzt reichen dafür schon 33 Jahre. Damit soll die „harte Abbruchkante“ vermieden werden. Geringverdiener sollen nach Heils Willen ab 1. Januar 2021 nach 33 Jahren einen Zuschlag bekommen. Davon war anfangs aber nicht die Rede.

Geringverdiener, die ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, sollen nach dem Gesetzesentwurf von 2021 an eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen. Sie sollen mehr haben als die Grundsicherung, so Heil.

Die Grundrente ist Murks

Und, funktioniert das? Dumm nur, dass das in den meisten Fällen wohl nicht reichen wird. Die Grundrente wird bei vielen unter der Grundsicherung bleiben – und dann müssen sie wieder zum Amt. Finanzmathematiker und Rentenexperte Werner Siepe hat’s für die „Wirtschaftswoche“ ausgerechnet. Heil hat die Kranken- und Pflegeversicherung vergessen. Die Beiträge machen in etwa elf Prozent der Grundrente aus – und es wird noch mehr, denn zum 1. Januar 2021 erhöhen viele Krankenkassen die Zusatzbeiträge. Anders als bei der Grundrente übernimmt bei der Grundsicherung der Sozialhilfeträger die Kranken- und Pflegebeiträger, so steht’s in § 32 Abs. 1 SGB XII.

Heil wiegelt ab: Über sein Bundesministerium für Arbeit und Soziales lässt er verlauten, Bezieher einer niedrigen Grundrente könnten ja zusätzlich Grundsicherung beziehen. Dann wäre sichergestellt, dass sie in Summe mehr Geld zur Verfügung hätten als ein Grundsicherungsbezieher. „Dafür soll ein spezieller Freibetrag bei der Grundsicherung eingeführt werden, sodass die Rente nicht voll verrechnet wird, sondern Rentner einen Teil davon auf die Grundsicherung obendrauf bekommen“, schreibt die „Wirtschaftswoche“.

Bürokratiemonster entsteht

Wer soll das kapieren? Wer Grundsicherung bezieht oder darauf Anspruch hat, kann künftig Grundrente beziehen. Weil er aber nach Abzug der Kranken- und Pflegebeiträge unter Grundsicherungsniveau fällt, soll er doch wieder Grundsicherung beantragen. Dabei wollte Heil doch, dass Bedürftige keine Grundsicherung mehr brauchen und damit ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen legen müssen.

Nächster Punkt: die Berechnung der Grundrente. Jetzt gelten nicht mehr 35 Beitragsjahre, sondern teilweise schon 33: Wer soviel Beitragsjahre zusammenbringt, kann laut Gesetzesentwurf eine Aufstockung erhalten. Der Zuschlag werde zunächst gestaffelt, bis er schließlich bei 35 Beitragsjahren die vollen Höhe erreicht. Noch alles klar?

Die Deutsche Rentenversicherung ist mit diesem Bürokratiemonster überfordert und wird entsprechend viel Zeit brauchen, um das Gesetz umzusetze. „Seit 1. Januar 2021 gilt die Grundrente als eingeführt, doch bis die rund 1,3 Millionen Empfänger erste Auszahlungen auf ihren Konten verbuchen können, dauert es noch; erst ab Mitte des Jahres soll die Grundrente fließen; spätestens Ende 2022 soll jeder Berechtigte den Zuschuss rückwirkend zum Januar 2021 erhalten“, schreibt „Finanzen“.

Berechnung der Grundrente

Jetzt kommt’s zur Berechnung: Die Rentenversicherung muss nun berechnen, ob ein Versicherter in den 33 bis 35 Jahren ein Anspruchsniveau erreicht hat, das 30 bis 80 Prozent des allgemeinen Durchschnittsverdienstes entspricht, um eine Aufstockung zu bekommen.

Um es nicht zu einfach zu machen, gelten Grenzen des Gesamteinkommens: Liegt das Gesamteinkommen des Rentners über bestimmten Grenzwerten, wird es nichts mit Grundrente. Bei einem Alleinstehenden liegt diese Grenze bei 1250 Euro im Monat. Damit der möglicherweise Grundrentenberechtigte seine Einkommensverhältnisse nicht offen legen muss, soll die Einhaltung der Grenze automatisch geprüft werden – und dabei soll das Finanzamt helfen.

  • Es soll also einen Datenabgleich zwischen Finanzamt und Rentenversicherung geben. Das wird aber schwierig bei Kapitalerträge, denn die Banken, bei denen die möglicherweise Grundrentenberechtigten ihr Depot haben, errechnen die Abgeltungssteuer automatisch und liefern sie beim Finanzamt ab.
  • Schwierig wird’s auch bei pauschal besteuerten Jobs auf 450 Euro Basis. Das Finanzamt – oder die Rentenkassen – muss jetzt nachfragen, denn 450-Euro-Jobs werden zum Einkommen gezählt.

Die Bürokraten wollen aber großzügig sein und ein Auge zudrücken, wenn jemand nur etwas über der Einkommensgrenze liegt.

Aber jetzt endlich zur Berechnung: Die gesetzliche Rente soll, wenn jemand die Voraussetzung für die Grundrente erfüllt, so aufgestockt werden, dass, sollten 35 Jahre – oder 33 – zusammenkommen, die Differenz hinzukommt, die zum Niveau eines Beitragszahlers mit 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes fehlt. Davon werden wieder 12,5 Prozent abgezogen. Eine aufgestockte Rente soll, um den normalen Beitragszahler nicht vor den Kopf zu stoßen, auf alle Fälle niedriger bleiben als die eines Beitragszahlers, der tatsächlich immer 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes erzielt und darauf Beiträge geleistet hat. Immer noch alles klar?

Ausschlaggebend bei der Ermittlung der Grundrente ist das vorvergangenene Jahr. Bei der Berechnung der Rente prüft die Rentenversicherung die Einkünfte des vorletzten Jahres, das heißt, wer in 2021 in Rente geht, wird an den Einkünfte im Jahr 2019 gemessen. Dumm nur, dass da die meisten noch gearbeitet haben und vermutlich sogar vergleichsweise – bezogen auf ihre früheren Gehälter – gut verdient haben. Sie haben damit sicher mehr verdient, als die erlaubten monatlich 1250 Euro. Damit fallen sie aus der Grundrente, obwohl sie zum Zeitpunkt des Rentenbeginns tatsächlich nur eine Minirente bekommen und alle Anspruchsvoraussetzungen für die Grundrente erfüllt hätte. Immer noch alles klar? Der MDR hat auch diesen Haken gefunden.

Beispiel

Die „Wirtschaftswoche“ hat das an einem Beispiel durchgerechnet:

Voraussetzungen

  • Rentner im Westen, 35 Beitragsjahre
  • 50 Prozent des allgemeinen Durchschnittsverdienstes erzielt
  • normale Rente = 578 Euro
  • 35 Jahren x aktueller Rentenwert von 33,05 Euro, davon 50 %
  • Differenz zwischen 50 % des Durchschnittsverdienstes und
  • den bei der Grundrente angestrebten 80 Prozent
  • minus 12,5 Prozent.

Berechnung

Der Aufstockungsbetrag läge also bei:
35 x (0,8 – 0,5) x 33,05 Euro – 12,5 % = 303,65 Euro.

Ergebnis:
aufgestockte Grundrente
578 Euro
+ 303,65 Euro
—————-
882 Euro

Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge

882 Euro
-97 Euro (11 %)
————-
785 Euro

Nur gingen davon elf Prozent Beitrag für Kranken- und Pflegeversicherung runter, also 97 Euro. Ausgezahlt würden nur 785 Euro.

Damit liegt der Grundrentner vor Abzug von Kranken- und Pflegebeiträge über der durchschnittlichen Grundsicherung von 808 Euro, nach Abzug aber darunter.

So berechnet sich die Grundrente

Quelle: Rentenbescheid24

650 bis 920 Euro Rente

Das sei kein Einzelfall schreibt die „Wirtschaftswoche“. „Mit 35 Beitragsjahren würden Rentner in den alten Bundesländern derzeit zwischen 650 und 920 Euro Grundrente erhalten, vor Abzügen. Nach Abzug von elf Prozent Kassenbeitrag blieben ihnen 580 bis 820 Euro monatlich übrig. Sollten Rentner sich für eine abschlagspflichtige Frührente entscheiden, läge das Niveau noch niedriger.“ Was Hubertus Heil da abliefert, ist eine Mogelpackung oder schlichtweg Murks.

Grundsicherung besser als Grundrente

Viele fahren also mit Grundsicherung besser als mit Grundrente. Dafür aber wird ein Bürokratie aufgebaut, denn der Datenaustausch zwischen Finanzamt und Rentenversicherung muss noch organisiert werden. Einer der beiden Behörden wird die Einkommensverhältnisse kontrollieren müssen. Die Verwaltungskosten werden explodieren. Die Deutsche Rentenversicherung hat, wie die Plattform „Aktuelle Sozialpolitik“ berichtet, davor gewarnt, dass die Verwaltungskosten im Einführungsjahr „voraussichtlich mehrere hundert Millionen Euro und damit mehr als 25 Prozent der Leistungsausgaben für die Grundrente betragen“ würden. Murks, Murks, Murks …

„In vielen Fällen von langjährigen Niedrigverdienern mit 35 oder 40 Beitragsjahren wird der Zahlbetrag der Grundrente unter der Grundsicherung liegen. Davon, dass die Grundrente laut Koalitionsvertrag rund zehn Prozent über der Grundsicherung liegen soll, kann nur in absoluten Ausnahmefällen die Rede sein“, so ein Befund von Werner Siepe. „Von der erstplatzierten und (partei)politisch gerne in das Schaufenster gestellten „Respektrente“ über das „Rollerchaos“ zum eigentlichen sozialpolitischen Problem: Alles nur ein „Grundrenten-Bluff“?. Wer es genau wissen will, dem seien die Berechnungen von Johannes Steffen empfohlen.

Wie das Ganze finanziert werden soll, ist noch unklar. Ursprünglich war dafür die von Finanzminister Olaf Scholz konzipierte Finanztransaktionssteuer geplant. Aus ihr wird vermutlich nichts, denn „zuletzt grätschte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz entschieden dazwischen, als er anlässlich seines Besuchs bei Angela Merkel ein glasklares Nein zu den deutschen Plänen für eine Finanztransaktionssteuer auf Aktienkäufe formulierte“, so die „Mittelbayerische Zeitung“. Generell heißt es, „finanziert werden soll die Grundrente aus Steuermitteln, allerdings sind die Details noch unklar“, so die „Welt“. Die SPD wolle die Leistung zumindest teilweise durch die geplante Finanztransaktionssteuer finanzieren, allerdings sei deren Einführung noch völlig ungewiss.

Teufel liegt im Detail

Der Teufel liege im Detail hat die „Mittelbayerische Zeitung“ klar erkannt. Die Grundrente ist und bleibt Murks und kostet den Steuerzahler wieder viel Geld für den Aufbau weiterer Bürokratie. Zurzeit unternimmt die SPD offensichtlich alles, um die Bürger zu düpieren. Denn die die geplante Finanztransaktionssteuer hätte diejenigen getroffen, die eigenverantwortlich fürs Alters vorsorgen. Momentan ärgert die große Koalition diese Gruppe sowieso, weil sie den Betriebsrentnern die volle Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aufbürdet.

Rentenreform dringend nötig

Die Kungeleien um die Grundrente beweisen einmal mehr, dass es dringend notwendig ist, das Rentensystem grundlegend zu reformieren. Davor aber drückt sich Hubertus Heil und doktert lieber an den Symptomen herum. Eine solche Reform sei der „Mittelbayerischen Zeitung“ überfällig. Der Blick ins benachbarte Ausland lehre, dass es Alternativen zum deutschen Rentensystem gebe. Bislang gebreche es am politischen Willen und an der Durchsetzungskraft, die Systemfrage zu stellen. Doch der rasante digitale Wandel der Berufswelt werde Antworten unausweichlich machen; andernfalls bleibe das Thema Altersarmut ein Konjunkturprogramm für Populisten.

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Helmut Achatz

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