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Der renommierte Volkswirt Hans-Werner Sinn hat nach den wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie gefragt – und die sind gewaltig. Sie werden Deutschland und die Europäische Union umkrempeln. Wie sehr hat er in seinem Buch „Der Corona-Schock“ geschildert. Vor allem wird aus der EU eine Schuldenunion.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben die Europäische Union in eine Schuldenunion verwandelt – klingt hart, ist hart. Verträge sind ihnen egal, was noch viel schlimmer ist. Wer’s nicht glauben will, liest sich einfach den Artikel 311 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union durch. Das steht drin, dass „der Haushalt unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert wird“. Da steht nichts, aber auch gar nichts von Fremdmitteln, sprich Schulden. Genau das aber haben die beiden Politikern abgenickt und anderen, die sich dagegen gestemmt haben, unterschwellig Kleinlichkeit und Geiz unterstellt. Wozu sind Verträge da, wenn sich keiner daran hält.
EU in eine Schuldenunion verwandelt
Sinns Verdienst ist es, dass offen auszusprechen. Er verweist auch darauf, dass ein ähnliches Experiment in den USA im Desaster endete. Offensichtlich wollen Scholz und Merkel nichts daraus lernen. Neun der 29 US-Staaten waren später zahlungsunfähig. Dadurch entstanden Hass und Streit. Die gemeinsamen Schulden waren nicht Klebstoff, sondern Sprengstoff. Die Amerikaner haben die Schuldenunion wieder in der Mottenkiste der Geschichte verschwinden lassen.
Schon vor Corona in schlechter Verfassung
Sinn beschreibt in seinem Buch, wie es zum Corona-Schock kam, in welcher Verfassung sich die Wirtschaft in Deutschland und Europa vor diesem Schock befand – und welche wirtschaftlichen Auswirkungen er hat. Letztlich formuliert er auch die wichtigsten Lehren, die wir aus der Krise ziehen müssen.
Nur die wenigsten wissen vielleicht, warum sich das Virus gerade in Norditalien so ausgebreitet hat. Nun, die Lombardei ist das Zentrum der italienischen Textilwirtschaft, wobei die weitgehend von Chinesen dominiert wird. Hunderttausende Arbeiten in der Region. Sie brachten das Virus nach Italien, von wo aus es sich epidemisch in Europa verbreitete.
Auf den Folgeseiten breitet er die Reaktion der Politik auf die Coronavirus-Pandemie aus. Da ist viel persönliche Meinung dabei. Da wird sich nicht jeder anschließen können – muss er auch nicht. Schade, dass er auf den schwedischen Weg so gar nicht eingeht. „Schweden hat die Corona-Krise trotz Sonderweg überstanden“, so die nüchterne Analyse von „querschuesse.de“. Die Sterbefälle sind fast bei null – und das ohne Lockdown. Zwar habe Schweden 53 Tote je 100 000 Einwohner, viel mehr Tote als Deutschland (11), aber trotz des Sonderwegs auch weniger als Italien (58), Spanien (60), Großbritannien (67) und Belgien (85). Und die Lage der Herdenimmunität sehe mutmaßlich in Schweden deutlich besser aus als in den meisten anderen europäischen Länder. Kein Wort davon in Sinns Buch. Schade. Zumindest prangert er die Aussage der Kanzlerin an, die vor „50 Millionen Infizierter“ warnte, was 250 000 Tote bedeuten würden.
Mit „blauem Auge“ aus der Krise
Sinn begibt sich wieder zurück in sein Fachgebiet und referiert über die Arbeitslosenzahlen und Kurzarbeit. Er glaubt, dass die Zeit der „immer weniger Arbeitslosigkeit jetzt zu Ende ist“. Wir sehen seiner Meinung nach eine Umkehrentwicklung. Aber auch er tappt im Dunklen, wenn es um die Abschätzung der künftigen Arbeitslosenzahlen geht. Er hofft, dass wir mit einem „blauen Auge aus dieser Krise herauskommen“. Unsere Nachbarn wird es seiner Meinung nach aber härter treffen.
Sinn fragt, ob wir uns auf eine zweite Welle einrichten müssen. Allerdings sind das, was er schreibt, Mutmaßungen. In den vergangenen Tagen gehen selbst Epidemiologen von der Theorie einer zweiten Welle ab. In punkto „elektronischer Möglichkeiten“ ist Sinn bereits von der Wirklichkeit überholt worden. Die Corona-App wird von vielen Deutschen angenommen. Laut Robert Koch-Institut (RKI) wurde die App mittlerweile 16,6 Millionen Mal heruntergeladen (Stand 4. August 2020). Die Zahlen sprechen gegen seine Skepsis.
Corona nur Brandbeschleuniger
Auf Seite 53 kehrt er dann wieder zu seinem Fachgebiet der Volkswirtschaftslehre zurück und stellt fest, dass „die Corona-Krise die Krise des Euroraums verschärft“. Corona-Epidemie und Finanzkrise seien nur Brandbeschleuniger, „die aus einer gravierenden wirtschaftlichen Schieflage, die der Euro zwischen Nord- und Südeuropa erzeugt hat, eine akute Wirtschaftskrise in Südeuropa und eine Krise der EU an sich gemacht haben“. Da hat er wohl Recht. Er schildert das Problem Italiens und seine Fast-Pleite. Italien hat eben nicht mehr das Mittel der Abwertung seiner Währung.
Im Wiederaufbaufonds sieht er einen „Etikettenschwindel“. Das billige Geld aus dem Norden hilft, das Lohnniveau in bedrängten Ländern zu stützen, die sonst „keine wirtschaftliche Basis“ haben. Man könne so zwar den Untergang von Industrien verzögern, „aber sobald das eine Dauereinrichtung wird, zementiert man ein Lohnniveau, bei dem die Exportwirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert“. Der Patient werde drogenabhängig und komme vom Tropf nicht mehr los. Genau das ist Italiens Problem.
Weiter Morphium für Italien?
Und was wäre die Lösung? Ersten weiter Morphium, zweitens das Land billiger zu machen, drittens die nordeuropäischen Länder nach zu inflationieren, sprich billiger zu machen, viertens der Austritt aus dem Euro. Anders als Angela Merkel behauptet „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ muss es heißen „Scheitert der Euro nicht, scheitert Europa“. Europa ist in einer Sackgasse, vor allem der Euro-Raum.
Merkel hat sich aber erst einmal entschieden, weiter Morphium zu geben in Form eines 750-Milliarden-Euro-Programms. Das Geld dafür kommt aus dem Nichts, ist also Fiat-Geld. Auch das ist nach Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verboten. Schert mittlerweile aber fast niemand mehr. Die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank (EZB) stieg im Juli 2020 um +1634 Milliarden Euro zur Vorjahreswoche, auf 6,3 Billionen Euro.
Geht auf Dauer nicht gut
Das kann auf die Dauer nicht gut gehen – das müsste sich jedem mit gesundem Menschenverstand von selbst erschließen. Wen würde die Geldentwertung am meisten treffen, fragt Sinn. Deutschland natürlich. Eine große Inflation, wie wir sie schon zwei Mal im vergangenen Jahrhundert hatten, würde viele hierzulande enteignen und die Schuldnerländer wie Italien bevorzugen. Wer Immobilien besitzt wie die Italiener, muss sich vor einer Inflation weniger fürchten. Wer Schulden aufgenommen hat, wie die Italiener, gehört zu den Gewinnern. Wer aber ein Sparbuch besitzt oder sein Geld auf dem Tagesgeldkonto liegen hat, ist der Gelackmeierte. Die Umverteilung in Europa wird zu ziemlichen Verwerfungen führen. Das schlimme dabei, Deutschland kann sich nicht mehr wehren, weil die Schuldnerländer in der EZB mittlerweile in der Mehrzahl sind und das Sagen haben. Da hilft auch keine Bundesverfassungsgericht, das bezweifelt, dass die Staatsanleihekäufe der EZB rechtens seien. Die Vergemeinschaften der Schulden nimmt seinen Lauf.
Target-Bilanz immer negativer
In der Corona-Krise war wieder einmal eine gewaltige Kapitalflucht aus Südeuropa nach Deutschland zu beobachten. Die Target-Überziehungskredite Italiens werden immer negativer – sie sind die „Fluchttür“ für Kapital. Target steht für Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System oder Transeuropäisches automatisches Echtzeit-Brutto-Express-Abwicklungssystem. Das bedeutet, die Notenbank eines Landes gewährt der Notenbank eines anderen Landes sozusagen einen Überziehungskredit. Mittlerweile stehen Italiener, Spanier, Griechen und andere bei der Deutschen Bundesbank mit einer Billion Euro – genau 1019,214 Milliarden Euro (Stand Ende Juli 2020) – in der Kreide, um es vereinfacht zu erklären.
Die Deutsche Bundesbank hat also ungedeckte Kreditforderungen gegenüber andere Notenbanken im Euro-Raum – und diese Unwucht wird immer größer. Deutsche Exporteure freuen sich darüber, dass Euro-Ausländer dank dieses Systems bei ihnen Waren kaufen können, den Deutschen kann es nicht egal sein, denn sie haften letztlich dafür. Sollten die Schuldner ihre Verbindlichkeiten nicht begleichen können, muss der Staat dafür einstehen – und das sind wir alle. Durch den Wiederaufbaufonds wird sich dieses Ungleichgewicht noch zulasten Deutschlands verschlechtern.
Paradigmenwechsel für Autobranche
Sinn geht auch auf die Lage der Automobilindustrie ein, was allerdings nicht so wirklich mit Corona zu tun hat, sondern größtenteils hausgemacht ist. Das gleiche gilt für die Klimapolitik, die nun wenig bis nichts mit der Corona-Krise zu tun hat. Sinn meint, die Corona-Krise „sollte uns Anlass geben, grundsätzlich über den Kurs der Klimapolitik nachzudenken.
Sinn vergleicht die Corona-Krise mit der Spanischen Grippe, mit Weltwirtschaftskrise und der Finanzkrise – und er kommt zu dem Schluss, dass die Corona-Krise ein „Zwischending zwischen Angebots- und Nachfragekrise“ ist. Er setzt deswegen ein „großes Fragezeichen hinter den Aktionismus des deutschen Finanzministers“. Sinn geißelt Schulz‘ Verschuldungspolitik, weil die Schulden der heutigen Generation auf die nachfolgenden abgewälzt werden. Ihn beunruhigt, „dass bei den Politikern eine ‚What-ever-it-takes‘-Mentalität entstanden ist, eine gewisse Haltlosigkeit bei der Verausgabung von Mitteln, die andere erarbeitet haben oder noch erarbeiten müssen“. Wegen Corona sei jetzt für alles Geld da, insgesamt gehe es dabei um 583 Milliarden Euro. Er warnt vor der „Finanzakrobatik“ der Politiker.
Höhere Steuern ab 2022
Für Sinn ist klar, dass die einmal gemachten Schulden irgendwann zurück gezahlt werden müssen – und das heißt Steuererhöhung. Die wird es aber nicht schon 2021 geben, denn dann ist Bundestagswahl. Er kann sich mit einer Mehrwertsteuererhöhung anfreunden, denn die würde alle treffen – Arme allerdings überproportional.
„Die neue Normalität wird der alten Normalität sehr ähnlich sein“, meint Sinn. Ob er sich da mal nicht täuscht. So erwartet er „kein Ende des Tourismus und des Flugverkehrs“. Die aktuelle Minus-Zahlen der Lufthansa sprechen eine andere Sprache. Deutschland bleibt zuhause, zumindest 2020. Die Ausflugsziele in den Alpen und an der See sind voll, Flugreisen werden gestrichen, Flugzeuge bleiben am Boden.
Wiederaufbaufonds gleich Schattenhaushalt
Sinn wirkt vor allem glaubwürdig, wenn es um sein Fachgebiet die Volkswirtschaft geht. Ganz richtig hat er das Agieren des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron eingeschätzt, der die deutsche Bundeskanzlerin so lange bearbeitete, bis sie einem „Wiederaufbaufonds“ zustimmte. Sinn hat den Wiederaufbaufonds als das erkannt, was er ist – ein „riesiger Schattenhaushalt“ der EU-Mitgliedsstaaten. Für Sinn ist „die Schuldensozialisierung Sprengstoff für die Union“. Das hat schon in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht funktioniert und wird auch in der Europäischen Union nicht funktionieren. Offensichtlich haben Merkel und Macron nichts aus der Geschichte gelernt. Er plädiert für ein „vernünftiges System mit fiskalischer Selbstverantwortung der beteiligten Länder“.
„Die Zeit der Träumereien ist vorbei; wir müssen realistischer agieren und unsere eigene Sicherheit besser schützen“, meint Sinn. Die Welte bestehe aus eigennützigen Staaten und eigennützigen Menschen.
Zum Schluss geht Sinn noch auf das „große Damoklesschwert Demografie“ ein. Die Babyboomer gehen in einigen Jahren in Rente und erwarten von den Kinder, die sie nicht aufgezogen haben, eine Rente zu bekommen. Das kann nicht funktionieren. Deswegen zeigt er sich beunruhigt über die „ausufernde Corona-Rettungspolitik“, die die Sorgen noch vergrößert. Kein Politiker hat sich diesem Problem angenommen. „Das wird dramatisch.“ Was dagegen tun? Erstens, mehr Kinder in die Welt setzen; zweitens, die Leute zum Sparen zu veranlassen; drittens, Kinder und junge Menschen aus dem Ausland zu holen. Ob das die Politiker verinnerlichen? Sinn hat da so seine Zweifel. Vielleicht ist die Corona-Krise „der Punkt, an dem wir als Gesellschaft die Politik dazu bewegen, längerfristig vorzusorgen, Risiken genauer zu betrachten und weniger naiv zu agieren“. Wünschenswert wäre es.
Sinn hat sein Buch in kürzester Zeit geschrieben, wurde aber bereits teilweise von der Realität überholt. Er liegt auch nicht mit allem richtig, wie sich bereits jetzt zeigt. Er hat indes Recht, wenn er dafür plädiert, dass die Politik sich mehr um die längerfristige Vorsorge kümmern sollte.
„Der Corona-Schock – Wie die Wirtschaft überlebt“
Hans-Werner Sinn
224 Seiten
18,00 Euro gebunden
13,99 Euro eBook
Herder
ISBN-978-3-451-82194-3
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Die EU war schon von Anfang an als Enteigungsunion gedacht und konzipiert. Die Deutschlandhasser Merkel, Schröder und CoKG haben gute Arbeit geleistet. Deutschland sollte unbedingt aus diesem EU Experiment aussteigen, genau wie die glücklichen Briten. Ein europäischer Wirtschaftsraum mit lediglich wirtschaftlicher Zusammenarbeit hat viel besser funktioniert und war gerechter für Alle. Jetzt wird nur Spaltung und Hass untereinander geschürt. Es wird Zeit, dass dies nun auch die allerletzte deutsche Omi kapiert.
Das gesetzliche Rentensystem wird zusammenbrechen. Ich habe bereits auf 50% TZ (18,75h/Woche) heruntergeschraubt, um die Steuern und Sozialabgaben maximalst zu minimieren. Desweiteren sollte man sein Geld vor dem gierigen Staat verstecken: anonym und physisch Edelmetalle und bei sich verstecken und Bitcoin. Diese Assets werden in den nächsten 10 Jahren sowieso preismässig explodieren. Dann muss ich auch gar nicht mehr arbeiten. Ich habe keine Lust, den kinderlosen Babyboomern die exorbitante Rente zu bezahlen. Meinen Kindern rate ich, später in England zu leben und zu arbeiten. Die Flüchtlingskinder werden den Wohlstand in D nicht halten können da sie schlecht ausgebildet sind und auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen haben….
Glänzt ja auch unser Schulsystem nicht gerade mit guter Leistung…..Deutschland wird wieder mal ein sozialistischer Staat…wir sind auf dem besten Weg dahin…China 2.0 mit Hygiene Diktatur lässt ausserdem grüssen….
[…] Italien soll neben Krediten weitere 65 Milliarden Euro Zuschuss bekommen, sprich Geld, das nicht zurück gezahlt werden muss. Es dürfte klar sein, wohin das Geld geht. Italiens Staat hat deswegen so hohe Defizite, weil er prozentual deutlich mehr für das teure Rentensystem zuschießt als Deutschland. Italienische Rentner beispielsweise kommen auf ein Lohnersatzquote von 91,8 Prozent, deutsche Rentner von 51,9 Prozent. […]
[…] wenn die Inflation ins Kraut schießt – und genau das ist passiert. Die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) hatten darüber hinaus die Folge des Ukrainekriegs vollständig ausgeblendet. Die Folgen […]
[…] Deutschland die teuren Rentensysteme der südeuropäischen Staaten mit“, warnt der Rentenexperte. Italien soll neben Krediten weitere 65 Milliarden Euro Zuschuss bekommen, sprich Geld, das nicht zurück gezahlt werden muss. Es dürfte klar sein, wohin das Geld […]