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Die Hyperinflation von 1923 ist unvergessen. Wiederholt sich die Geldkatastrophe? Wie es dazu kam und wo es Parallelen zu heute gibt.
„Euro fällt auf 20-Jahrestief“, meldet die Nachrichtenagentur DPA. Ein Euro war am 22. September 2020 noch 98 US-Cent wert, am 23. September sogar nur noch 0,969 US-Cent – das ist der tiefste Stand seit 20 Jahren. An seinem Hoch 2008 bekamen wir noch 1,60 US-Dollar für einen Euro. Was Wunder, dass angesichts dieses Verfalls Erinnerungen an 1923 wachwerden.
Frank Stocker, Wirtschafts- und Finanzredakteur der „Welt“ verfolgt den Verfall unserer Gemeinschaftswährung schon seit langem und hat mit „Die Inflation von 1923“ ein Buch über die damalige Geldvernichtung in Deutschland geschrieben. Was daraus resultierte, wissen wir alle.
Können wir aus Geschichte lernen?
Diese „Geldvernichtung unvorstellbaren Ausmaßes“ hat sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen gebrannt. Wie kam es dazu? Können wir aus der Geschichte lernen? Im Moment ähnelt einiges der Entwicklung von damals. Nur, dass wir dieses Mal keine eigene Währung mehr haben, sondern uns den Euro mit insgesamt 18 weiteren Ländern teilen, darunter beispielsweise Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland. Wie die Geschichte weiter lehrt, hat bislang keine einzige Gemeinschaftswährung die Zeiten überdauert – ein schlechtes Omen für den Euro.
Frank Stocker ist Finanzredakteur und Historiker und versteht es, sich diesem komplexen Thema in 50 kurzweiligen Kapiteln zu nähern. Er skizziert die Umstände, die dazu führten, dass ein Kilo Kartoffeln 49 Milliarden Mark, ein Straßenbahnticket 150 Milliarden Mark, ein Kilo Brot 233 Milliarden Mark und ein Kilo Rindfleisch 4,8 Billionen Mark kostete. Mit einem Monatsverdienst von 73 Billionen Mark – so viel verdiente ein mittlerer Beamter – kam niemand, selbst Beamte kaum über die Runden. Nicht von ungefähr haben die Deutschen Angst vor Inflation. Deswegen ist Stocker der Frage nachgegangen, wie es zu dieser „gigantischen Geldentwertung“ kam.
Der Irrsinn nimmt seinen Lauf
Auslöser war der Erste Weltkrieg. Das Kaiserreich zerfiel. Der Sozialdemokraten Philipp Scheidemann rief am 9. November 1918 die Republik aus. Der Krieg hatte Deutschland eine tonnenschwere finanzielle Last aufgebürdet. Die Regierung nahm immer mehr Schulden auf, während parallel dazu die Wirtschaftsleistung schrumpfte. Dazu kamen die Reparationszahlungen an die Sieger.
Die Reichsbank übernahm nach und nach die Schulden der Regierung – und druckte das Geld, „das der Finanzminister brauchte“. Ungeniert Geld zu vermehren, führt aber zwangsläufig zu Inflation – und genau das ist passiert. Die Entwicklung der Geldmenge von 1914 bis 1921 erinnert frappant an die Geldvermehrung der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2014 bis 2022. Als Folge stieg die Inflation von vier Prozent im Juli 1921 auf 62 Prozent im Dezember 1921. Damals – wie heute – kam die Regierung auf die Idee, Preise zu kontrollieren und zu deckeln.
Der währungstechnische Irrsinn nahm seinen Lauf, als der damalige Außenminister und Hoffnungsträger Walter Rathenau ermordet wurde. Rathenau hatte sich erfolgreich gegen überbordende Reparationsforderungen der Siegermächte gestemmt. Mit seinem Tod bekam das Vertrauen in die Mark einen Knacks.
Die Mark im freien Fall
Den Todesstreich versetzte jedoch Frankreich mit der Besetzung des Ruhrgebiets am 11. Januar 1923, denn das Ruhrgebiet war der Kern der deutschen Wirtschaft – ohne Ruhrgebiet war Deutschland nicht lebensfähig. Die Besetzten leistete am Anfang noch gewaltlosen Widerstand. Schon am Tag vor dem Einmarsch kollabierte die Mark. Der freie Fall der deutschen Währung begann. Die Deutschen fanden sich in Absurdistan wieder.
Wie ein Krimi liest sich Stockers Beschreibung des Zeitraums französischer Besetzung. Aus gewaltlosem wurde nach und nach gewaltsamer Widerstand, der sogar in einer Erschießung mündete. Die französisch-belgischen Besatzer waren nicht zimperlich. Sie produzierten während ihrer Besatzung sogar Falschgeld und brachten es in Umlauf.
1923 war ein Schicksalsjahr
Die Reichsbank versuchte noch mit Stützungskäufen den Wert der Mark zum Dollar zu stabilisieren, aber am 18. April 1923 musste sie kapitulieren, weil der Verkaufsdruck so stark geworden war. Von da an ging’s nur noch bergab: Der Kurs des Dollar stieg bis Ende Mai auf 70.000 Mark, bis Mitte Juni auf 148.000 Mark, bis Ende Juli auf 1.000.000 Mark – und die Geldentwertung in Deutschland galoppierte, wobei „galoppieren“ eher noch untertrieben ist.
Mitte August 2023 stand der Dollarkurs bei 4,5 Millionen Mark – und dabei sollte es nicht bleiben. Anfang September war ein Dollar sogar 10,3 Millionen Mark wert und Anfang November stolze 320 Milliarden Mark. Die Deutschen rechneten nur noch in Millionen und Milliarden – und bald schon in Billionen.
Eine Billion für eine Rentenmark
Es war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Die Regierung unter Reichskanzler Gustav Stresemann fand mit Reichswährungskommissar Hjalmar Schacht einen Mann, der schließlich mit der Rentenmark eine neue Währung einführte, die die verkommene Mark ablösen sollte – offiziell eingeführt am 15. November 1923. Allerdings dauerte es einige Tage, bis der Umrechnungskurs zwischen Mark und Rentenmark endlich feststand – und zwar bei einer Billion Papiermark zu einer Rentenmark. Die Umstellung zog sich noch Monate hin, denn die Reichsbank druckte weiter Banknoten auf Mark lautend.
Wenn es auch kaum einer glauben wollte – die Rentenmark brachte die Inflation zum Stillstand. Die Deutschen rechneten nicht mehr mit zwölf Nullen, sondern wieder mit Zahlen im einstelligen Bereich, ja, es gab mit dem Rentenpfennig sogar wieder eine Untereinheit. Das Kilo Rindfleisch kostete nach 5,6 Billionen Mark schon bald nach der Währungsreform „nur“ noch zwei bis drei Billionen Mark oder zwei bis drei Rentenmark. Die Menschen fassten Vertrauen in die neue Währung, denn sie war mit einer Grundschuld auf den Besitz von Industrie und Landwirtschaft gesichert.
Wende dank Dawes-Plan
Die endgültige Wende brachte schließlich der Dawes-Plan: Der US-Banker und Politiker Charles G. Dawes legten am 9. April 1924 einen Plan vor, der zum einen bedeutete, dass die Franzosen das Ruhrgebiet räumen sollte, zum zweiten Deutschland wieder Reparationen zahlen sollte, drittens das Geld aus Zöllen, Steuern und Hypothekenzinsen kommen sollte und viertens Deutschland einen Kredit von US-Banken über 800 Millionen Goldmark bekommen sollte. Im Rahmen dieses Plans sollte die Reichsbank reorganisiert werden. Der Reichstag akzeptierte Dawes‘ Plan – und im August 1925 zogen schließlich die Franzosen aus dem Ruhrgebiet ab. Das Kapitel Hyperinflation war bereits im Herbst 1924 endgültig abgeschlossen.
Aus Rentenmark wurde Reichsmark: Die reorganisierte Reichsbank gab „Reichsmark“ aus, Rentenmark konnten in die neue Währung umgetauscht werden, blieb aber immer noch im Verkehr, so dass selbst bis zur Einführung der Deutschen Mark 1948 noch Rentenmark im Umlauf waren.
Vertrauen in Geld verloren
Für viele Deutsche endete diese Phase mit einem Desaster, hatten sie doch den größten Teil ihres Geldvermögens verloren. Das Vertrauen in die Währung war zerstört und sollte sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen. Dieses Trauma wirkt bis heute nach.
Kann das wieder passieren?
In seinem Nachwort stellt Stocker die Frage, ob das wieder passieren könne. Wer das Agieren der Europäischen Zentralbank (EZB), zuerst unter ihrem Präsidenten Mario Draghi, dann unter ihrer Präsidentin Christine Lagarde, beobachtet, kann das nicht mit einem klar „Nein“ beantworten. Die EZB ist zwar unabhängig, ihre Chefs glauben indes, sie müssten einzelnen Staaten vor einschneidenden Konsequenzen ihrer überbordenden Schuldenmacherei beschützen, in dem sie Geld aus dem Nichts generiert, um deren Schulden zu finanzieren. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Die amerikanische Notenbank hat das begriffen und ruderte längst zurück; die EZB zögert. Die Folge der ungenierten Geldvermehrung ist steigende Inflation, die in manchen Teilen der Euro-Zone schon längst an Inflationsraten im zweistelligen Prozentbereich ablesbar sind. Wer weiter sein Vermögen in Geldwerte investiert, wird zu den Verlierern gehören. Und damit schließt sich der Kreis zu 1923. Oberstes Ziel einer Notenbank muss die Geldwertstabilität sein, darin aber lässt es die EZB zurzeit vermissen. Die Währungshüter bei der EZB haben bislang beteiligungslos zugeschaut, wie der Wert des Euro bröckelt und mittlerweile unter Parität zum US-Dollar notiert.
Die Inflation von 1923
Frank Stocker
Hardcover, 368 Seiten
Finanzbuch Verlag
Preis: 27,00 Euro
Erschienen: August 2022
ISBN: 978-3-95972-564-4
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