Wir sollen bis 70 arbeiten – im Ernst?!

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Arbeitgeber und Wirtschaftsweise wollen die Menschen am liebsten bis 70 Jahre arbeiten lassen. Das ist nichts anderes als eine verkappte Rentenkürzung. Dabei müsste die Rente grundlegend reformiert werden.

„Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen – auch weil das Lebensalter immer weiter steigt“, fordert Stefan Wolf, Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, wie der „Tagesspiegel“ berichtet. Wolf weiß sehr wohl, dass das einer verkappten Rentenkürzung gleichkommt, denn viele können nicht bis 70 arbeiten, weil sie lange vorher schon verschlissen sind. Wenn sie aber früher in Rente gehen, sind die Abschläge noch höher, als sie heute bereits sind, wodurch die Rente niedriger ausfällt.

Arbeiten bis 70?

Die Wirtschaftsweisen Monika Schnitzler und Veronika Grimm sowie der vermeintliche Rentenexperte Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg stoßen ins gleiche Horn. „Der Vorschlag ist richtig und wichtig, denn er hilft gegen Altersarmut und entlastet zudem die Rentenkasse, die vor dem Kollaps steht“, so Raffelhüschen in der „Bild“. Wirtschaftsweise Grimm fordert die Kopplung des Renteneintrittsalters an die höhere Lebenserwartung. Die Lebenserwartung steige und die Gesundheit der Menschen im Alter verbesserte sich im Durchschnitt, das erfordere auch eine Anpassung beim Rentenalter, damit die Rentenversicherung finanzierbar bleibe. Der Chef des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, schlug zusätzlich eine Deckelung der Rentenerhöhung vor. Das heißt zusammengefasst: Künftig sollen die Menschen hierzulande später in Rente gehen und weniger bekommen. Zu der Riege gesellen sich laut „Bild“ auch die Professoren Stefan Kooths (IfW) und Gunther Schnabl (Uni Leipzig). Dabei steigt das Rentenalter sowieso bis 2029 auf 67 Jahre.

Einfallslose Wissenschaftler

Wer das liest, hat ein Déjà-vu-Erlebnis: Die gleichen Leute sagen schon seit Monaten, wenn nicht sogar seit Jahren, das Gleiche: „Um die Rente auch in Zukunft zu sichern, gibt es drei Stellschrauben – Renteneintrittsalter, Beitragshöhe und Rentenhöhe; man wird nicht umhinkommen, an allen drei Schrauben zu drehen, wenn wir die künftigen Generationen nicht überlasten wollen“, behauptet Schnitzer, vergisst dabei zu erwähnen, dass Deutschland ein Zweiklassen-System in punkto Altersvorsorge hat. Sie, wie auch Wolf und Schnitzler vergessen ganz die Beamten, die im Alter kein Problem mit Altersarmut haben.

Von Österreich lernen

Statt immer wieder das Gleiche zu fordern, ist es höchste Zeit, sich mit der Altersvorsorge insgesamt zu beschäftigen und endlich eine grundlegende Rentenreform anzumahnen, in deren Rahmen auch das Zweiklassensystem abgeschafft wird, so wie es in Österreich schon Ende 2004 passiert ist: Das Allgemeine Pensionsgesetz (APG) trat am  1. Jänner 2005 in Kraft. Es sieht vor, dass

  • Beitragssätze und Beitragsgrundlagen werden schrittweise harmonisiert und gleichzeitig die Leistungen vereinheitlicht
  • Nach 45 Beitragsjahren sollen alle Versicherten im Alter von 65 Jahren eine Pension von 80 Prozent des Lebensdurchschnittseinkommens erhalten
  • Einrichtung eines beitragsorientierten persönlichen Pensionskontos mit leistungsorientierter Komponente
  • Zeiten unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen werden besonders berücksichtigt.

Offensichtlich haben der vermeintliche Rentenexperte Raffelhüschen und die Wirtschaftsweisen noch nie über ihren nationalen Tellerrand geschaut, sonst wäre ihnen aufgefallen, dass Altersarmut in Österreich dank dieses Gesetzes kein Thema ist, anders als in Deutschland.

Es braucht eine Rentenreform

Womit Raffelhüschen, Wolf, Schnitzler und Grimm allerdings Recht haben: Deutschland braucht eine grundlegende Reform der Altersvorsorge – und dazu gehört es auch, die Zweiklassengesellschaft abzuschaffen und zu einer Erwerbstätigenpension zu kommen, sprich, ein Altersvorsorgesystem zu installieren, in das alle einzahlen und von dem alle bezahlt werden. Der Flickenteppich muss der Vergangenheit angehören.

Schluss mit dem Zweiklassensystem

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK fordert eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung, was bedeute, dass alle dort einzahlen – neben Angestellten auch Beamte, Selbstständige und Politiker. Aber damit stößt sie bei Politikern wie Olaf Scholz auf taube Ohren, was wundern, werden die Gesetze doch von Politiker gemacht, die vom Zweiklassensystem profitieren.

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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Eugen Dinkel
    4. August 2022 15:25

    Die langfristigen Maßnahmen für eine Rentenreform sind in diesem Artikel gut erklärt. Auf die demografische Entwicklung muss irgendwann reagiert werden, doch im Moment geht es um etwas anderes.
    Das Weltsozialamt Deutschland wird auch aus den Beiträgen zur gesetzlichen Renten- und Kranken-Versicherung finanziert. Niemand sollte vergessen, dass allein aus Rentenbeiträgen zwischen 1957 und 2020 ca. 909 Milliarden Euro zweckentfremdet wurden, die eigentlich den Rentnern gehören.
    Die viel kürzeren Lebensarbeitszeiten und die prozentual viel höheren Renten der Südländer werden auch von deutschen Rentnern finanziert.
    Die Forderung hierzulande nach Rente mit 70 ist eine Verhöhnung deutscher Arbeitnehmer.

    Antworten
  • Helmut Achatz
    4. August 2022 15:31

    Hallo Herr Dinkel,

    da sehe ich genau so.

    Antworten
  • […] wenn sie selbst nie eingezahlt hätten – damit müsse Schluss sein, fordert die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer im „Spiegel“ und trat damit eine Empörungslawine los. „Die jetzige Regelung reduziert die […]

    Antworten

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