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Was „Opakratie“ bedeutet, haben jüngst wieder junge Briten erfahren, die bei der Frage nach dem „Brexit“ von den Alten dank ihrer Mehrheit überstimmt worden sind. Die Babyboomer-Generation hält die Fäden in der Hand und bestimmt über das Schicksal der Nation – nicht nur in Großbritannien, sondern vor allem auch in Deutschland. Verspielen wir unsere Zukunft? Diese Frage treibt Wolfgang Gründinger in seinem Buch „Alte Säcke Politik“ aus dem Gütersloher Verlagshaus um.
Der Zukunftslobbyisten ist Sprecher der Stiftung Generationengerechtigkeit und hält mit seiner Ansicht über die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht hinterm Berg. „Merkel macht Politik für die Generation der Babyboomer, und die wollen keine Wunder und keine Experimente, sondern ihre Ruhe“, so der heute 32-Jährige. Ruhe als erste Bürgerpflicht – Merkel verkörpert diese Eigenschaft und vermittelt sich auch den Bürgerinnen und Bürgern.
Ruhe heißt freilich nicht selten Stillstand. Genau das wirft der Anwalt der Jungen Merkel vor. Kein einziges Reformprojekt habe die Kanzlerin zu Ende geführt. „Bildungsrepublik, Regulierung der Finanzmärkte, Energiewende, Rentenreform, Elektromobilität oder digitaler Wandel: Überall regiert die Kanzlerin so vor sich hin und sonnt sich in alternativloser Beliebtheit“. Gündinger belässt es nicht mit Vorhaltungen, er kann sie auch belegen – seine Zeilen sind gespickt mit Anmerkungen und Charts.
Deutschland im Weckglas
Der Aktivist möchte die Gesellschaft mit seinem Buch aufwecken, denn das „Land im Weckglas“ brauche einen Weckruf. Für diese kollektive Geisteshaltung spiegelt sich sogar in dem Verb „merkeln“ wider – einem der Jugendwörter des Jahres 2015. Übrigens hat sich „Smombie“ – eine Kombinationaus Smartphone und Zombie – durchgesetzt.
„In Deutschland haben die Alten das Sagen“, auch „weil die Politiker in vorauseilendem Gehorsam genau das tun oder genau das unterlassen, von dem sie glauben, dass die Mehrheit der Alten es möchte oder eben nicht möchte“, urteilt Gründinger. Ja, und? Ist das schlimm? Der Politikwissenschaftler meint „ja“, weil wir – und damit meint der Deutschland – unsere Zukunft verspielen. Viele ahnen es vielleicht und sie werden von einem unbestimmten Gefühl umgetrieben. Dafür findet der Autor die richtigen Worte. Seine Generation erbe keine schöne heile Welt. „Wir spüren die Probleme nur noch nicht, die sich zwar unter der Oberfläche, dafür aber umso massiver zusammenballen“, beschreibt er die Stimmung. Die auf Kurzatmigkeit geeichte Politik verwalte den Stillstand. Die Elite dieses Landes analysiert zwar gern die Probleme und begreift den Handlungsdruck, den Worten folgen jedoch keine Taten oder „zu spät, zu verzagt“. Oft genug folgen auch die „gänzlich falschen Taten. Dabei unterscheidet sich Merkel in nichts von der Sozialdemokratie, die „Opakratie“ drückt auch der „Sozialpolitik ihren Stempel“ auf.
Wir leben von der Substanz
„Deutschland fährt auf Verschleiß“, kritisiert der Kosmopolit und vergleicht uns mit anderen Nationen. Das betrifft Straßen, Wasserleitungen, Schulen, Kitas und Bahn. Die Merkel-Regierung investiert immer weniger in Infrastruktur, ablesbar an der nominalen Investitionsquote. In punkto Internet-Geschwindigkeit sind wir weit abgeschlagen, offene WLANs sind eher die Ausnahme als die Regel. Für Bildung geben wir deutlich weniger aus als Dänen, Isländer, Norweger, Kanadier, Belgier, Finnen und Franzosen. „Wir leben von der Substanz“, klagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das sei alles andere als Generationengerechtigkeit, empört sich Gründinger. „Generationengerechtigkeit heißt nicht nur, dass der Staat nicht mehr Schulden macht, als die nachfolgende Generation an Zinsen ertragen kann; Generationengerechtigkeit heißt auch – die Konsolidierung des Staatshaushalts darf keinesfalls auf Kosten der Zukunftsinvestition stattfinden“, so der Zukunftslobbyist.
Reform der Beamtenpension überfällig
Es ist sein Verdienst, diese Lage analysiert zu haben – und aktiv Partei zu ergreifen. Ja, wir Alten müssen uns den Spiegel vorhalten lassen. Wobei, die jüngsten populistischen Rentenentscheidungen gehen nicht von einem „Alten Sack“ aus, sondern von einer 46-jährigen Sozialistin, sprich Andrea Nahles. Sie hat die Mütterrente und die Rente mit 63 eingeführt. Die Arbeits- und Sozialministerien dreht die Reformen der Schröder-Ära nach und nach zurück, egal, ob sie finanzierbar sind oder nicht – und generationenverträglich. Sie verteilt Wahlgeschenke zu Lasten der nachfolgenden Generationen. Dabei leiden die Jungen ja nicht nur unter dem sinkenden Rentenniveau, sie spüren auch noch die anhaltend niedrigen Zinsen – und, die Merkel-Regierung hinterlässt ihnen noch ein herunter gewirtschaftetes Land. Ganz abgesehen davon, dass auf sie gigantische Schuldenberge warten und in der Zukunft abgetragen werden müssen.
Gründinger hat ein Problem verortet, dessen sich die meisten noch gar nicht so richtig bewusst sind: die Beamtenpensionen. Der Staat habe sich „eine gigantische und unsichtbare Last mit seinen Zahlungspflichten für die Beamtenversorgung auferlegt. Die Lasten werden sich Gründinger zufolge von heute 27 Milliarden Euro auf 86 Milliarden Euro im Jahr 2045 annähernd verdreifachen – und dafür gibt es keine Rückstellungen. Das wirklich Schlimme daran: niemand steuert ernsthaft dagegen. Warum das so ist? „Die Beamtenpensionen sind vermintest Terrain, das kaum ein Politiker zu betreten wagt, weil er sich der Abstrafung durch die Beamtenlobby sicher sein kann, jegliche Reformen aber mühselig sind und erst auf lange Sicht wirken“, hat Gründinger ganz richtig erkannt.
Niedrigzinspolitik führt ins Desaster
So brillant die Analyse, so schwach ist seine Handlungsanweisung für eine Änderung der Verhältnisse, die zurzeit gegen die Jungen gerichtet sind. Sich nur zu empören, reicht nicht. Auch der Aufruf, die Märkte zu verändern, führt in die Irre. Der Markt sind wir alle, aber nicht der Markt hat die Niedrigzinsphase eingeleitet, das war der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi. Geld kostet nichts mehr – und das ist fatal. Ja, die Bundesregierung wird noch von den Gläubigern bezahlt, wenn sie Anleihen ausgibt. Was für eine perverse Welt. Er weitet ungestraft die Bilanzsumme der EZB aus und bürdet den nachfolgenden Generationen eine unheimliche Last auf.
Wahrscheinlich muss der Leidensdruck noch viel, viel stärker werden, bis die Gesellschaft reagiert und erkennt, dass die gegenwärtige Politik die Zukunft verspielt. Das wird dann allerdings richtig schmerzen. Eine Vorgeschmack bekommen wir bereits.
Weiterführende Links:
- Fairr.de: Interview mit Gründinger
- Welt: Wettlauf gegen den Verfall
- Bundeszentrale für politische Bildung: Generationen-Gerechtigkeit
- Institut der deutschen Wirtschaft: Alle Generationen im Blick behalten
- The Guardian: Abstimmungsverhalten der jungen Briten
- Beamtenpension – Fakten, Vorurteile, Modellrechnung
- Wie gerecht geht es in Deutschland zu?
- Tichys Einblick: Die Angst des Fußballers führte zum Elfmeter
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11 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Lieber Opa, in vielen von Dir kritisierten Punkten treffen wir uns. In Bezug auf den Brexit muss ich jedoch mein Veto einlegen: Nicht die Alten haben die Jungen überstimmt, sondern die Jungen sind einfach -phlegmatisch: hüben wie drüben- nicht zur Wahl gegangen. Als der Brexit stand, rieben eben diese sich verwundert die Augen und haben sich das erste mal mit dieser Thematik überhaupt befasst. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Auch hierzulande ist ein „vor sich hin merkeln“ nur deshalb möglich, weil die Jugend- mittlerweile bis Ende 30!!! – sagt, wir machen lieber gar nichts, weil die da oben ohnehin machen was sie wollen. Das ist nur die Frage der Perspektive. Mach doch mal die Rolle rückwärts in Deine „Jugend“. Haben wir da zugesehen, was Erhard, Kiesinger, Barzel, Dregger,Brandt, Wehner etc. so vor sich hin wirtschafteten? Nein: wir haben im ASTA agiert, wir waren auf der Straße, wir haben Rabatz gemacht, solange, bis man uns hörte. So sehr „man“ auf die 68er und die RFA zurecht schimpfte, so haben wir Jugendlichen damals doch die politische Richtung entscheidend mitgeprägt. Es ist daher zu einfach, jetzt zu behaupten, dass Merkel alles im Alleingang mache, ohne jemanden zu fragen. Es ist halt keiner da, den man – sie – fragen könnte. Das ist brandgefährlich.
Lieber Mit-Opa,
ja, die Jugend kann ganz schön phlegmatisch sein. Fakt ist, dass sie überstimmt wurden – und jetzt erst aufwachen. Ganz richtig beobachtet.
Stimmt, wenn ich mich zurückerinnere an meine Jugend: Ich war damals fast schon grün-militant. Wir sind für Radwege auf die Straße gegangen und gegen Atomkraft.
Das Buch von Gründinger ist ein Weckruf, so habe ich ihn wohl verstanden.
Danke für die (kritische!) Rezension! Möchten Sie die auch auf Amazon stellen? Würde mich freuen!
[…] http://vorunruhestand.de/2016/07/macht-merkel-politik-fuer-die-babyboomer-generation/ […]
[…] Macht Merkel Politik für die Babyboomer-Generation? […]
[…] Macht Merkel Politik fuer die Babyboomer-Generation? […]
[…] Ex-Wiso-Moderator glaubt nicht an eine Altendiktatur. Ob er damit nicht daneben liegt? Wie ist es denn mit der Rente mit 63? Eigentlich kann sich das […]
[…] Staat so oft ein? Was tut er eigentlich für die Rentner? Wer hat die Rente überhaupt erfunden? Was ist der Generationenvertrag? Da ist immer wieder von Hinzuverdienst die Rede – wie ist das geregelt? „Ach komm, Rente – […]
[…] Rentenniveau nicht unter 48 Prozent fällt – allerdings nur bis 2025. Dann allerdings gehen die Babyboomer in Rente. Der große Knall ist programmiert, den wird auch die Niveausicherungsklausel nicht mehr […]
[…] Rentenniveau nicht unter 48 Prozent fällt – allerdings nur bis 2025. Dann allerdings gehen die Babyboomer in Rente. Der große Knall ist programmiert, den wird auch die Niveausicherungsklausel nicht mehr […]
[…] jetzt bekommen die Junge zu spüren, was „Opakratie“ ist. Die jetzige Politikergeneration macht Politik für die Älteren – zum Nachteil der […]