Frankreichs Rentenreform

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Noch können Franzosen mit 62 Jahren in Rente gehen, das soll sich aber ändern. Dagegen protestieren die Massen in Frankreich. Wie gerecht ist Frankreichs Rentenreform?

Die Franzosen bekommen mehr und gehen früher in Rente. Allerdings ist Frankreichs Rentensystem nicht nachhaltig. Schon heute pumpt der Staat mehr Mittel in das System als es in anderen Ländern der Fall ist. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Deswegen will Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron die Rente reformieren – und stößt auf massiven Widerstand.

Frankreich streikt

„Grève contre la réforme des retraites”, titelt „Libération“. Die Franzosen streiken gegen die Rentenreform von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Millionen gehen in Paris und anderen Großstädten auf die Straße. Damit nicht genug, die Gewerkschaften legen das Land lahm.

Ist der Protest der Französinnen und Franzosen gerechtfertigt? Wie sieht das im Vergleich zu Deutschland aus? Wer in Frankreich 42 lang Beiträge gezahlt hat und 62 Jahre alt ist, kann abschlagfrei in Rente gehen. In Deutschland braucht es dafür 45 Beitragsjahre und der Antragssteller muss bis zum 64. Lebensjahr warten: Jahrgang 1958 kann erst mit 64 Jahren eine abschlagsfreie Renten beziehen, Jahrgang 1959 erst mit 64 Jahren plus zwei Monaten – und Jahrgang 1964 sogar erst mit 65. Das heißt, die Französinnen und Franzosen stellen sich deutlich besser als die Deutschen.

Rente mit 64

Mit Macrons Reform soll sich das moderat ändern: Durch die Reform soll nicht nur das Renteneintrittsalter auf 64 angehoben werden. In Zukunft müssen die Franzosen auch 43 Jahre Beiträge zahlen, um volle Rentenansprüche zu haben – das ist selbst nach der Reform immer noch günstiger für französische Rentnerinnen und Rentner als in Deutschland.

Die Französinnen und Franzosen gehen nicht nur früher in Rente als die Deutschen, sie bekommen auch mehr. Das räumt deutsche Rentenexpertin bei der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) in Paris, Monika Queisser, gegenüber „Welt“ ein. „Der Lebensstandard französischer Rentner ist verglichen mit dem der aktiven Bevölkerung in Frankreich zwar besser, aber das liegt nicht unbedingt an der Höhe der Renten, sondern an vielen Faktoren: heutige Rentner profitieren noch von früheren, großzügigeren Regelungen, haben mögliche Nebeneinkünfte.“ In punkto Rentenhöhe liege Frankreich für Durchschnittsverdiener zwar über dem Durchschnitt der OECD-Länder, aber gehöre nicht zu den großzügigsten Ländern.

Frankreichs Rentensystem

Von französischen Renten können deutsche Rentnerinnen und Rentner nur träumen: Die Durchschnittsrente in Frankreich liegt bei 1600 Euro, dabei gehen die Franzosen früher in Rente als die Deutschen. Sie haben es rein subjektiv gesehen deutlich besser als die Deutschen, denn hierzulande liegt die Durchschnittsrente bei 1212 Euro (Männer alte Bundesländer) und bei 737 Euro (Frauen alte Bundesländer). Selbst wer 45 Beitragsjahre hat und immer durchschnittlich verdient hat, kommt nur auf eine Standardrente von 1620 Euro.

Frankreichs marodes Rentensystem

Dafür sind hierzulande die Rentenbeiträge mit 18,6 Prozent niedriger als in Frankreich (28 Prozent) und der Staat muss „nur“ zehn Prozent in das Rentensystem zahlen, während die staatlichen Zuschüsse in Frankreich bei 18 Prozent liegen. Schon auf den ersten Blick wird klar, dass Frankreichs Rentensystem alles andere als nachhaltig ist. Damit nicht genug, es ist auch – kaum vorstellbar – noch komplizierter als das deutsche.

Grundsätzlich ist das französische Rentensystem ähnlich aufgebaut wie das deutsche: Es basiert auf drei Säulen:

  • der Grundrente (règime de base),
  • dem obligatorischen beruflichen Zusatzsystem (rètraite complementaire)
  • der privaten Vorsorge mit dem System PERCO und PERP.

Die Grundrente

Die Grundrente soll etwa 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens betragen. 2010 wurde die Rente leicht reformiert – und die Beitragsjahre auf 42 Jahre festgelegt. Anders als bei der gesetzlichen Rente in Deutschland werden für die Rentenberechnung in Frankreich die besten 25 Beitragsjahre herangezogen. Die Franzosen können, so sie vor 1955 geboren wurden, mit 62 in Rente gehen. Das heißt, sie können, müssen aber nicht in Rente gehen. Wenn sie länger arbeiten, können sie eine Rentenzulage (surcote) bekommen. Pro Trimester erwirbt der Rentenanwärter 1,25 Prozent, pro Jahr sind das 3,75 Prozent. Für Kinder bekommen Franzosen ebenso wie hierzulande Jahre gut geschrieben: In Frankreich sind das zwei Jahre pro Kind, dazu gibt es noch ein einkommensabhängige Rentenplus ab dem 3. Kind. Anders als in Deutschland gibt es nicht eine Rentenkasse, sondern mehrere für verschiedene Beschäftigungskategorien: für die Privatwirtschaft (CNAV), die Landwirtschaft (MSA), Selbstständige (SSI), Beamte (CNRACL) und staatlich Angestellte (FSPOEIE) und Kirchen (CAVIMAC).

Die Höhe der Rente hängt von drei Faktoren ab:

  • dem durchschnittlichen Grundlohn oder Jahreslohn (SAM),
  • dem gemäß den Versicherungs- und gleichwertigen Zeiten berechneten Abwicklungssatz sowie dem Alter zum Zeitpunkt der Abwicklung,
  • der Versicherungsdauer sowie Ersatzzeiten. Der volle Satz (50 Prozent) richtet sich nach der Versicherungsdauer, dem Alter (67 Jahre für Versicherte, die ab 1955 geboren sind) oder der Zugehörigkeit zu bestimmten Kategorien (arbeitsunfähig, Mütter, die mindestens drei Kinder großgezogen haben).

Die Zusatzrente

Dann gibt es die berufliche Zusatzrente (rètraite complementaire) AGIRC-ARRCO.  Sie wird anhand von Punkten berechnet – 2019 ist ein Punkt 1,2714 Euro wert. Der Wert der Punkte bezieht sich auf ein Referenzentgelt. Entsprechend der angesammelten Punkte errechnet sich dann die Zusatzrente. Grundsätzlich unterscheidet sich die Zusatzrente in punkto Renteneinstiegsalter nicht von der Grundrente. Allerdings kann die Zusatzrente ab 57 Jahren in Anspruch genommen werden, allerdings mit Abschlägen.

Zusammen mit Grund- und Zusatzrente kommt ein durchschnittlich verdienender Franzose auf 70 Prozent des Brutto- und 85 Prozent des Nettogehalts. Geringverdiener komme nur auf 40 Prozent des Bruttoeinkommens und 50 Prozent des Nettoeinkommens.

Übrigens kann sich die Zusatzrente erhöhen, falls der Rentner Kinder hat oder hatte.

  • Für ein Kind gibt es fünf Prozent
  • Bei drei und mehr Kinder richtet sich der Satz nach Zugehörigkeit oder zehn Prozent der Rente nach der Erwerbstätigkeit nach 2011

Die Privatrente

Dank Grund- und Zusatzrente sind Franzosen vergleichsweise gut gestellt im Ruhestand. Der Druck, privat vorzusorgen, ist entsprechend niedrig. 2003 wurde PERCO und PERP eingeführt: Plan Epargne Retraite Collectif, eine zusätzliche betriebliche Altersvorsorge, ebenso Plan Epargne Retraite Populaire. Die Vorteile:

  • Steuerermäßigung
  • Arbeitgeberbeteiligung

Das Rentensystem in Frankreich ist unüberschaubar und ungerecht. Insgesamt gibt laut Monika Queisser, der Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Paris, 42 verschiedene Rentensysteme. „Das bedeutet, dass jeder Euro, der eingezahlt wird, je nach System eine unterschiedliche Rente ergibt“, hat sie dem „Spiegel“ in einem Interview gesagt. Hauptziel der geplanten Reform sei es, ein einheitliches System zu schaffen. Aber dabei gebe es natürlich immer Gewinner und Verlierer. Wer die Verlierer sind, ist klar – vor allem die Eisenbahner der staatlichen SNCF und die Beschäftigten der Pariser Verkehrsbetriebe, die teilweise schon mit 52 Jahren in Renten gehen können. Sie haben natürlich Angst, ihre Privilegien zu verlieren.

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Helmut Achatz

Macher von vorunruhestand.de

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