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Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher schlägt ein verpflichtendes soziales Jahr für Rentner vor – und bringt die Babyboomer auf die Palme. Denn, viele haben ihr Pflichtjahr in Form von Wehr- und Sozialdienst schon hinter sich.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat mit seiner Forderung nach einem „verpflichtenden sozialen Jahr für alle Rentnerinnen und Rentner“ eine bundesweite Kontroverse ausgelöst. Gegenüber dem „Spiegel“ begründete er seinen Vorstoß mit der Notwendigkeit einer gerechteren Lastenverteilung zwischen Jung und Alt. Die junge Generation sei bereits stark durch steigende Sozialabgaben und die Folgen des Klimawandels belastet.
Solidarität und „neuer Generationenvertrag“
Fratzscher argumentiert, die ältere Generation müsse sich gesellschaftlich „stärker einbringen, beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung“. Er sieht Potenzial in den technischen Fähigkeiten vieler Ruheständler, die unter anderem der Bundeswehr zugutekommen könnten. „Warum sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?“, so der DIW-Präsident. Sein Ziel sei es, die Lösung gesellschaftlicher Probleme nicht schematisch den Jungen aufzubürden. „Wir brauchen mehr Solidarität der Alten mit den Jungen“, resümiert Fratzscher, der seine Thesen in seinem demnächst erscheinenden Buch „Nach uns die Zukunft – ein neuer Generationenvertrag für Freiheit, Sicherheit und Chancen“ weiter ausführt.
Heftiger Widerspruch: „Respektlos“ und „dümmlich“
Die Reaktionen auf Fratzschers Vorschlag fielen überwiegend negativ aus. Die VdK-Präsidentin Verena Bentele wies die Idee als realitätsfern zurück und forderte stattdessen mehr Anerkennung für die bereits geleistete und andauernde Arbeit älterer Menschen. „Wir sollten zur Abwechslung mal anerkennen, was ältere Menschen in diesem Land leisten, anstatt ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie faul sind und der Gesellschaft auf der Tasche liegen“, so Bentele.
Joachim Lautensack vom baden-württembergischen Seniorenverband Öffentlicher Dienst bezeichnete die Forderungen als „dümmlich“. Er verwies auf umfangreiche Statistiken, die das hohe ehrenamtliche Engagement von Senioren belegen.
Faktencheck: So engagiert sind Deutschlands Senioren
Tatsächlich ist das freiwillige Engagement in der Altersgruppe der Rentner bereits stark ausgeprägt. Laut dem Deutschen Freiwilligensurvey 2019, der letzten großen Erhebung vor der Pandemie, waren in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen beeindruckende 43,9 Prozent ehrenamtlich tätig. Rechnet man die unzähligen Stunden für familiäre Unterstützung, wie die Betreuung von Enkelkindern, hinzu, ergibt sich ein noch umfassenderes Bild des gesellschaftlichen Beitrags.
Möglichkeiten zum Engagement im Alter:
- Bundesfreiwilligendienst (BFD): Im Gegensatz zum Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) steht der BFD Menschen jeden Alters offen und bietet eine strukturierte Möglichkeit für soziales Engagement.
- Ehrenamt in Vereinen: Ob im Sportverein, in der Kirchengemeinde oder in kulturellen Organisationen – die Möglichkeiten sind vielfältig.
- Tafeln und soziale Einrichtungen: Die Mitarbeit bei den Tafeln oder anderen karitativen Organisationen ist für viele eine sinnstiftende Tätigkeit.
Kritik an Fratzscher
In der öffentlichen Debatte wird auch die Person Fratzschers kritisch beleuchtet. Kommentatoren weisen darauf hin, dass in seinem öffentlichen Lebenslauf weder ein Wehr- noch ein Zivildienst verzeichnet ist. Dies führt zu dem Vorwurf, er fordere von anderen einen Dienst, den er selbst nicht geleistet habe. Viele Rentner der „Babyboomer“-Generation hätten hingegen bereits Wehr- oder Zivildienst absolviert, der damals oft 15 Monate oder länger dauerte.
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Gesellschaftliches Engagement aller
Die Diskussion um ein Pflichtjahr für Rentner, angestoßen durch Marcel Fratzscher, rückt die Frage nach der Generationengerechtigkeit in den Fokus. Während der Vorstoß auf breite Ablehnung stößt und das bereits vorhandene, massive Engagement von Senioren ignoriert, könnte er dennoch als Anstoß für eine konstruktive Debatte über neue Formen des Miteinanders und der gegenseitigen Unterstützung der Generationen dienen.

Marcel Fratzscher
„Nach uns die Zukunft“
Piper Verlag
Preis, 22 Euro
224 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
Berlin Verlag
ISN: 978-3-8270-1527-3
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Allein einen solchen Vorschlag irgendwie zu verwalten würde Unmengen an Arbeit und Kosten verursachen. Bei Verpflichtung müsste ja u.a. erstmal rausgefunden werden, wer überhaupt dazu noch in der Lage ist einen Pflichtdienst zu leisten.. Ich gehöre zur Boomergeneration, bin nach insgesamt. 45 Jahren in der sozialen Arbeit an LongCovid erkrankt und kann schlicht nicht mehr, bin mit 63 in die vorzeitige Rente gegangen. Der ehemalige Dachdecker, der wegen Rückenproblemen sich nur noch am Rollator vorwärts bewegen kann, wird wohl auch nicht mehr auf Dächer klettern können.
Boomer haben die letzten Jahrzehnte auch vieles getragen, u.a. durch ihre Einzahlungen in die Rentenkasse. Der Arbeitsmarkt war eng. Ich bin die überwiegende Zeit in Jobs untertariflich bezahlten Jobs unterwegs gewesen.
Dass die Boomer irgendwann alle ins Rentenalter kommen, ist zudem seit Jahrzehnten klar.