Wie geht’s dem alten weißen Mann?

Leben

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Wir Alten werden schnell mit dem Etikett „alter weißer Mann“ abqualifiziert. Ein Film hat sich dieser Entwicklung an- und sie auf die Schippe genommen.

Schon mal das Wort „dissen“ gehört? Nein? „dissen“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie geringschätzen. Das passiert uns alten weißen Männer (AWM). Ja, ich bin auch einer davon: alt und weiß und Mann – und solche wie mich gibt es millionenfach.

Michael Verhoeven, Sohn der Schauspielerin Senta Berger und des Regisseurs Michael Verhoeven, nahm sich dieses Themas in dem Film „Alter weißer Mann“ an, der vor kurzem in die Kinos kam und den am ersten Wochenende nach eigenem Bekunden schon „mehr als 200.000 humorbegabte Menschen“ gesehen haben.

Alte weiße Männer gedisst

Wir AWMs werden gedisst für das, was wir historisch „verbrochen haben“ wie Macht und Einfluss auf diese Gesellschaft auszuüben, einen besseren Zugang zu Bildung und Pöstchen zu haben, weil wir dominierten, weil wir den Status quo erhalten wollten und wollen, weil wir vermeintlich privilegiert sind (oder waren), weil wir uns gegen soziale Veränderungen wie die Gleichstellung der Geschlechter, Rassengerechtigkeit und  LGBTQ+-Rechte (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual) wehren, weil wir uns gegen Gendern aussprechen.

Verhoevens Film greift all das auf – in „humorbegabter“ Weise und überspitzt manchmal. Er hinterfragt auf plakative Art die Kritik an AWMs und die Probleme, die Teile der Gesellschaft mit ihnen haben. Dabei spannt er den Bogen über zwei Generationen alter weißer Männer, denn er bringt auch den Vater („Georg“) des Protagonisten „Heinz Helmich“ ins Spiel.

Vergnügliche Gesellschaftskomödie

„Heinz“ wird von Jan Josef Liefers alias Professor Boerne gespielt, bekannt als spleenig-abgehobener Pathologe aus dem Münster-Tatort. Liefers hat sichtlich Spaß an seiner Rolle und verkörpert den AWM in komödiantisch-hintersinnige Weise – und beschert jedem AWM-Kinogänger eineinhalb vergnügliche Stunden. Jeder weiß, worauf er sich einlässt, daran lässt Verhoeven nicht den leisesten Zweifel – das hat etwas für sich. Für Boerne-Fans auf alle Fälle ein besonderer Spaß.

Wer ist ein Boomer?

Heinz Helmich kann gerade noch so als Boomer durchgehen, denn die Spanne der Boomer reicht von Jahrgang 1946 bis 1964. Er ist also eher ein Spät-Boomer. Aber seien wir nicht so kleinlich. Als Spät-Boomer muss er noch arbeiten, so in der Endphase vor der Rente, als eigentlich schon ein Vorruheständler. Dummerweise hat er drei fast-erwachsene Kinder plus Frau zu ernähren und muss um seine Existenz bangen. Er befürchtet, nicht mehr mithalten zu können.

Verhoeven hat Heinz in einen Cordanzug gesteckt, um keine Zweifel an seinem AWM-Charakter aufkommen zu lassen; Heinz‘ bewohnt, wie sich das für AWMs gehört, in einem typischen Eigenheim mit typischer AWM-Ausstattung; Heinz sollte den AWM-Patriarchen verkörpern, was ihm aber keiner so recht abnehmen kann, weil es ihm kaum noch gelingt, sich durchzusetzen, denn seine Familie, mit Mutter, zwei Töchtern und einem Sohn, unterläuft ihn systematisch. Die Älteste ist sogar nach Berlin entfleucht und hat so des Vaters Einfluss entzogen; die andere Tochter belehrt ihren Vater in puncto Gendern; Heinz‘ Frau Carla (Nadja Uhl) ist gerade dabei, aus der häuslichen Enge auszubrechen und sich selbstständig zu machen.

Wokeness als Herausforderung

Die familiäre Konstellation und die Disruption in der Firma führen zwangsläufig zur Katastrophe, die für Heinz und seine Familie aber neue Chance eröffnet. Die Probleme fangen für Heinz als Regionalvertriebschef des Kommunikationsunternehmens Fernfunk AG damit an, dass die Firma eine Unternehmensberatung beauftragt, die Abläufe zu analysieren und zu optimieren. Zudem soll der neue Technologiechef Älex Sahavi (Elyas M’Barek) die Fernfunk AG fit für die digitale Zukunft machen – dank KI und dem allgegenwärtigen Copiloten namens Sam der immer mal als Emoji aufploppt.

Heinz‘ Chef, Dr. Steinhofer (Michael Maertens) will Heinz auf die Probe stellen, ob er den Herausforderungen der neuen Zeit gewachsen ist und schlägt ein Abendessen vor, das Heinz‘ Wokeness und Diversity beweisen soll. Heinz dämmert, wie wichtig dieses Dinner für ihn seine Laufbahn ist. Jetzt versucht er, Haus, Familie und Gäste danach auszurichten. Er muss sich von seiner „wokesten“ Seite zeigen. Zu allem Übel ist auch noch die Diversity-Beauftragte Lian Bell aus der Unternehmensberatertruppe dabei. Heinz braucht also ein nicht-weißes Haus und nicht-weiße Gäste.

Kulturschock zwischen Stadt und Land

Während Heinz versucht, alles auf divers zu trimmen, erinnert er sich an seine älteste Tochter Mavie (Sarah Mahita), die in Berlin vermeintlich studiert, aber im hauptstädtischen Sumpf abgetaucht ist und sich als Sängerin versucht, aber stimmlich daneben liegt. Kurz entschlossen fährt er aus seinem beschaulichen Waldstetten in die Wokeness-Metropole Berlin.  Der Kulturschock könnte größer nicht sein – und wirft ihn vollkommen aus der Bahn, sodass er im wahrsten Sinn des Wortes unter die Räder kommen. Irgendwann schafft es seine Carla ihn doch noch an die geplante Dinnerparty zu erinnern und an seine Verantwortung als Gastgeber. Heinz eilt, nach vielen Turbulenzen, abgerissen und abgebrannt zurück ins heimische Waldstetten.

Die Fassade bröckelt

Dort warten alle schon am Esstisch auf ihn. Mit seinem 83-jährigen Vater und einem indischen Fahrradkurier Hilmar, den Heinz‘ Vater angefahren hat, fallen sie schließlich ein. Als alle an einem Tisch sitzen, gerät das Ganze schnell aus dem Ruder. Opa Georg tappt von einem Fettnäpfchen ins nächste. Aus „perfekt“ wird „defekt“. Die Fassade der woken Familie Hellmich beginnt ganz schnell zu bröckeln. Alles Verbiegen hilft nichts. Sein Chef, den Heinz mittlerweile duzt, droht ihm schlimme Folgen an, was nichts anders als die Kündigung bedeuten kann.

Happy End

Aber Ende gut, alles gut – die Diversity-Beauftragte hat mithilfe der KI Sam herausgefunden, dass Heinz‘ Chef, Dr. Steinhofer, in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, sodass nicht Heinz den Job verliert, sondern sein Chef – und Heinz sogar in der Firma aufsteigt.

Verhoeven lässt sich mit seinem Film humorbegabt und selbstironisch auf die großen und heiklen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit ein. Vielleicht haben wir es mit Political Correctness und Selbstoptimierungswahn etwas übertrieben – Verhoevens erinnert uns daran, uns wieder häufiger an einen Tisch zu setzen und vielleicht etwas weniger verbissen miteinander zu reden statt übereinander.

Copyright: ©2024 LEONINE Studios

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Helmut Achatz

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