Weißt du, wie gut du es hast? Babyboomer blicken zurück

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Haben wir Babyboomer unser Leben ausgeschöpft? Schauspielerin und Autorin Maria Bachmann hat da so ihre Zweifel. Selbst hat sie lange gebraucht, um ihr Potenzial zu erkennen und es auszuschöpfen. Ihre Entwicklung von der kleinen Maria zur selbstbewussten Bachmann beschreibt die Babyboomerin in ihrem Buch „Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast“

Untertitel des Buchs ist „Von einer, die ausbrach, das Leben zu lieben“. Titel und Untertitel sind treffend gewählt. Die Autorin, die heute als Coach andere unterstützt, hat lange gebraucht, um sich über sich selbst klar zu werden. Ihr Buch ist Vergangenheitsbewältigung und Mutmacher für viele aus ihrer Generation. In einer ZDF-Sendung sagte sie, dass viele in ihrem Alter dächten, ihr Leben nicht ganz ausgeschöpft zu haben. „Wir können etwas ändern, unsere Eltern konnten nichts ändern“.

Babyboomer erinnern sich

Als Angehörige des Jahrgangs 1964 ist sie auf dem Höhepunkt der Babyboomer-Welle geboren. 1964 war das geburtenstärkste Jahr überhaupt. Die Klassen waren voll, die Eltern eingespannt und teilweise noch vom Krieg traumatisiert. Der Alltag war geprägt von so Leitsätzen wie „Was sollen die Leute denken“, „Das macht man nicht, „Das war schon immer so“ – und davon gab es noch mehr. Das blieb im Unterbewusstsein hängen und wirkte lange nach. Auch bei Maria.

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Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast

In ihrem Buch beschreibt sie, wie es ihr während der Kindheit ging mit einem vom Krieg traumatisierten Vater, einer Mutter die mehr gelebt wurde als selbst gelebt zu haben, in Sprachlosigkeit, Depression und Pflichterfüllung. Die kleine Maria war bestrebt, lieb zu sein und sich anzupassen. Körperliche Züchtigung war an der Tagesordnung. Die Grausamkeiten der Gefangenschaft hatten sich Vater ins Gedächtnis eingebrannt. Die Familie musste sparen; das bekam Maria zu spüren. Für Maria galt es, sich anzupassen, klein zu bleiben und zu tun, was von ihr erwartet wurde.

Traumatisierte Eltern

Maria lässt uns tief hineinblicken in eine Familie der Nachkriegsgeneration, dazu noch eine streng religiöse, was es Maria nicht gerade erleichterte. Himmel und Hölle waren allgegenwärtig – und wenn Maria mal nicht spurte, wurde gleich der Finger gehoben. So war das damals noch so in vielen Familien der Babyboomer-Generation.

Wie schafft sie es, sich aus dieser „einschränkenden Prägung“ der Eltern zu befreien? Das war ein mühsamer und langer Prozess – begleitet von Selbstzweifeln, Aufbegehren und Brüchen. Sie lernte Thomas Gottschalk kennen, sie lernt später Udo Lindenberg kennen.

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Vor dem Ankommen steht der Auszug

In Maria keimt der Wunsch, Schauspielerin zu werden, was bei Vater und Mutter im besten Fall Unverständnis ausgelöst haben mag. Das war der Anfang eines Traums, der Wirklichkeit werden wollte – und er wurde es, allerdings mit Umwegen. Aber, wie heißt es so schön: „Umwege erweitern die Ortskenntnis“. Wobei, einige, seien wir uns ehrlich, hätten wir uns gern erspart – Maria sicher auch.

Aber vor dem Ankommen steht der Auszug – weg von dem „Sei zufrieden“ und „Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast“.

Die Umwege führten Maria auch ins Krankenhaus, wo wie sie einer „alten Dame den Kartoffelbrei mit Soße vor den Mund halten“ muss. Dann begegnete Maria dem „Rahmensprenger“ in der Freiburger Schwarzwaldhalle. Mit Panikrocker Udo Lindenberg trinkt sie dann Champagner – und er stellte noch ganz anderes mit ihr an.

Bekannt dank Calgonit-Werbung

Maria geht in die Schauspielschule und beißt dem Hahn die Gurgel durch, nicht wirklich freilich. In der Impro-Stunden gibt sie das hungrige Weib und entjungfert sich emotional. Das muss eine wilde Zeit gewesen sein.

Richtig bekannt wurde sie dann vor 25 Jahren mit einem Werbespot für das Maschinenspülmittel Calgonit – ihr Spruch „Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn“ war in aller Munde. Dann ging es Schlag auf Schlag. Sie schrieb ein Buch – Titel „Panikrocker küsst man nicht“. Sie kommt in die Medien, wird herumgereicht. Dann stellte sie sich beim Radiosender Radio Hamburg vor und startete durch. Dabei blieb’s nicht – sie synchronisierte Filme und drehte Filme.

Dann der Absturz. Sie hinterfragte sich, versuchte Rückführungen und hing spirituellen Gurus an den Lippen. Schließlich entschließt sich die große Maria zu einer Therapie. Sie hört auf, gegen sich selbst und die prägenden Sätze der Eltern zu kämpfen; lernt, sie selbst zu sein. Sie lernt Resilienz, „Frustrationstoleranz, Großmut, um Rückschläge zu verarbeiten, mit Unvermögen umzugehen, genau wie mit Erfolgen

Leiden unter den Spätfolgen

Bachmann ist nicht die erste, die unter den Spätfolgen des Kriegs leidet, eines so epochal grauenhaften Kriegs, der viele Seelen gründlich beschädigt hat. Maria leidet mittelbar an den Folgen, denn ihre Eltern konnten gar nicht anders, auch wenn sie es gewollt hätten. Ingrid Meyer-Legrand hat sich ebenfalls mit den Kriegsenkel beschäftigt und ein Buch darüber beschrieben: „Die Kraft der Kriegsenkel“. Arie Ben Schick schildert, wie seine Eltern die Erfahrungen im Krieg seelisch verarbeitet haben in seinem Buch „Mama, erzähl mir vom Krieg“.

Wir habe das Thema Krieg und Vertreibung lange aus dieser Sicht ausgeblendet. Diese Bücher helfen uns Babyboomer zu verstehen, was mit den Kriegsenkeln, sprich mit uns, passiert ist. Maria Bachmann hat ihr Buch für all jene geschrieben, die „spüren, dass da etwas ist, das sie zurückhält in ihrem Leben“. In ihren „Schlussgedanken“ schildert sich auch, was das Etwas ist: „Ihre (die ihrer Eltern) seelischen Wunden sah man nicht. Doch es waren nicht nur der Krieg, sondern auch die Regelwerke der damaligen Zeit, die prägten. Das örtliche Umfeld, die strengen und gefühlskargen Erziehungsmethoden und die Furcht einflößende religiöse Glaubenserziehung. Meine Eltern waren sich nicht darüber im Klaren, wie wichtig und zukunftsweisend Geborgenheit, Sicherheit und Zuspruch für ein Kind sind. Mehr noch, dass dies der Nährboden ist zum Wachsen und Gedeihen“. Hut ab, dass sie es geschafft hat, diesen Hemmschuh aus ihrem Weg zu räumen und Dank dafür, dass sie darüber geschrieben hat, denn viele empfinden es so wie Maria Bachmann.

Infos zum Buch:
„Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast“
Von einer, die ausbrach das Leben zu lieben
Maria Bachmann
272 Seiten
19,99 Euro
Droemer Knaur
ISBN: 978-3-426-21455-8
eBook
ISBN: 978-3-426-45437-4

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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Wer 1964 geboren ist und Eltern hatte die 19 Jahre nach Kriegsende noch vom Krieg traumatisiert waren muß an Kriegsphobie leiden. Die deutschen Politiker der Nachkriegszeit waren jedoch keine Kriegshelden sondern nur darauf bedacht daß der Wiederaufbau gelingen möge. Ludwig Erhard war Bundeskanzler und sein Thema war nicht Krieg sondern soziale Marktwirtschaft. Trotz Kriegszerstörung war Deutschland 1964 bereit Gastarbeiter aufzunehmen um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Gastarbeiter haben Deutschland nicht aufgebaut aber konnten am Aufschwung Deutschlands teilhaben. Das war damals ein Thema, aber keineswegs die Nachwehen eines Krieges der Niemand genutzt , aber der ganzen Welt geschadet hat.

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  • […] 66 Jahren, da fängt das Leben an …“ sang Udo Jürgens – und uns Babyboomern dürfte der Text noch geläufig sein. Genau so alt ist die „Apotheken Umschau“ geworden – und […]

    Antworten

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Helmut Achatz

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