Auf Kleidergrößen ist kein Verlass mehr

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Kleiderkauf ähnelt immer mehr einem Lotteriespiel. Eine 54 ist keine 54 mehr, sondern vielleicht eine 50, weil die Größe bei Bugatti anders ausfällt als bei Boss. Jede Marke nimmt ihr eigenes Maß zum Ärger der Kunden. Wer online bestellt, muss die Ware mehrmals umtauschen, bis er das passende gefunden hat. Kurzum, auf Kleidergrößen ist kein Verlass.

Braxx, Bugatti, Boss, Baldessarini, Marks & Spencer, Brunello Cucinelli, Mason’s, Marc O’Polo – jeder macht in puncto Größe, was er will, mit dem Effekt, dass sich der Kunden an nichts mehr orientieren kann. Dabei gibt es auch für Kleidung eine europäische Norm, die DIN EN 13402-1, nur hält sich keiner dran – ist ja auch nicht bindend. In dieser Norm, werden – ähnlich wie für Schrauben, Steckdosen und Papierformat – Größenbezeichnungen von Bekleidung definiert, insbesondere Begriffe und Verfahren für die Messung am Körper. Die EN 13402-2 bestimmt die Primär- und Sekundärmaße, EN 13402-3 legt die Größenbezeichnungen auf der Grundlagen von Körpermaßen und Sprungwerten fest.

Kein Verlass auf Kleidergrößen

Jedes Modelabel definiert für sich, was 38 oder 44 ist, mit dem Verweis, Konfektionsgrößen ließen sich nicht normieren. Die internationalen Einheiten wie S, M, L und XL helfen den Kunden leider auch nicht weiter, weil ein L in Modena oder Catania etwas anderes bedeutet als in Stockholm oder Kopenhagen.

Wir Europäer sind ja so unterschiedlich, deswegen muss das wohl so sein. „Beim Shoppen in unterschiedlichen europäischen Ländern können die Angaben stark variieren: Passt Ihnen eine deutsche Größe 40, brauchen Sie in Italien die Größe 46, damit das Kleid sitzt; bei unseren französischen Nachbarn entspräche dies der Größe 42“, erklärt „Chip“. Aber muss das so sein? Wirklich? Komisch, die Amerikaner – und Amerika ist groß – können das doch auch. Wer eine Jeans kauft, kann sich, zumindest bei den großen Marken, an Bundweite und Schrittlänge orientieren.  Ein Problem ist noch die Umrechnung in Inch, denn die USA verweigert sich dem metrischen Maß.  Ein Inch sind 2,54 Zentimeter. Wer also Bundweite und Beinlänge misst, muss die Zahlen noch durch 2,54 teilen, um die Inch-Größe zu bekommen. Dann aber dürfte es kein Problem sein, die passende Jeans zu finden. Größe W38/L30 bedeutet dann, die Bundweite beträgt 96 Zentimer – geteilt durch 2,54 – oder aufgerundet 38 Inch, die Beinlänge bemisst sich auf 30 Inch oder 76 Zentimeter. W38/L30 ist etwas für untersetzte Herren, Damen mit kurzen Beinen kommen vielleicht mit W28/L30 zurecht, Damen mit normaler Konfektionsgröße mit W28/L32 und langbeinige mit W28/L34 oder W28/L36.

Straight, tapered – alles klar?

So weit, so gut, Modelabels unterlaufen aber dieses einfache Maßsystem mit Bezeichnung wie „skinny“, „slim“,  „high rise“, „regular“, „boot cut“, „saddle“, „straight“, „high waist“, „tapered“ – alles klar? Modelabels hassen Vergleichbarkeit und unternehmen alles, um Verbraucher an die eigene Marke zu binden, mit eigenen Größen, die nicht mehr vergleichbar sind. Mittlerweile sind Größenangaben bei Hosen, Hemden und Bluse schon lange keine Garantie mehr für Passgenauigkeit. Selbst wer glaubt, er hat den passenden Hersteller gefunden, wird erstaunt sein, dass selbst die Größen je nach Modelabel variieren. Das Größensystem ist ein wahrer „Buzzword-Dschungel“, wie es das Internet-Portal „Cove – die Maßschneider“ bezeichnet.

Entnervte Kunden in der Kabine

Der Effekt dieses Verwirrspiels: Vor den Umkleidekabinen in Modeläden türmen sich die anprobierten Hosen und Jacken, weil sich Verbraucher heute nicht mehr nach Größenangaben orientieren können. Männer sind da meist ungeduldiger als Frauen und geben nach der sechsten oder siebten Hose, die wieder am Bund kneift, entnervt auf. Noch schlimmer beim Online-Kauf. Zwei Hosen in Konfektionsgröße 40 bestellt und alle beiden Hosen passen nicht. Dabei ist die eine am Bund zu weit, bei der anderen spannt das gute Stück am Oberschenkel. Also wieder zwei Retouren mehr. Selbst große Versender, die Größenberatung anbieten, sind mit diesem Problem überfordert. „Es kann passieren, dass auf derselben Seite eines Versandhauskatalogs zwei ähnliche Jogginghosen verschiedener Marken abgebildet sind; bestellt der Kunde beide in der gleichen Größe, ist es möglich, dass die eine Hose zu groß ist, die andere zu klein“, zitiert „Der Westen“ Thomas Rasch, Hauptgeschäftsführer des Modeverbands „German Fashion“, der 340 Unternehmen der Modebranche vertritt.

Beschiss bei der Kleidergröße

Bei Damen spielt sicher die Psychologie eine entscheidende Rolle beim Kleiderkauf. Wenn sie altern, ändert sich die Kleidergröße. Wir gehen eher in die Breite als in die Höhe, sie wollen aber die Kleidergröße behalten. Das kann nicht funktionieren. Die Marke zu wechseln, ist pure Selbsttäuschung. Leider gilt das auch umgekehrt – um jugendlicher zu wirken, wird aus einem Sakko Größe 54 ein Sakko Größe 50 – 50 klingt einfach besser als 54. Damit haben wir Männer ein Problem, denn wir akzeptieren meist, dass wir im Alter in die Breite wachsen, wählen zwei Nummern größer – und das gute Stück passt trotzdem nicht.

Kleidungskauf wird zur Tortur

Durch diese Rücksichtslosigkeit der Marken und Negieren jeder Normung wird Kleiderkauf zur Tortur. Das müsste nicht sein. Am Ende bleibt dem Kunden nur übrig, sich einen Bekleidungslieferanten zu suchen, bei dem er weiß, dass 54 auch 54 ist, was bedauerlicherweise einfacher klingt, als es in der Mode-Wirklichkeit ist.

Ulf Gerhards hat auf seinem Blog „Zeilenendes Sammelsurium“ einmal ausführlich beschrieben, welche Probleme ein Mann beim Kauf einer neuen Hose zu meistern hat. Köstlich zu lesen. Gerhards schildert den Hosenkauf des Herrn Zeilenende Senior, der, weil Mutter Zeilenende dabei ist, „zu einem stundenlangen Rosenkrieg“ ausartet. Und „in der Herrenabteilung vom Kaufhof schafft es Herr Zeilenende Senior, sämtliche Verkäuferinnen gegen sich aufzubringen“. Aber einfach selbst lesen.

Und Vanezia Blum hat sich in Instagram mal mit Hosen der gleichen Größe unterschiedlicher Marken fotografiert – einfach nur krass. Das kann’s doch nicht sein – oder?

Vanessa Blum auf Instagram

Hosenkauf wird zur Wissenschaft

Hosenkauf wird dank des Negierens jeglicher Normen zur Wissenschaft. Die Modeflüsterin Stefanie Gruppe hat deswegen einen dreiteiligen Hosenratgeber ins Netz gestellt. Wem langweilig ist und wer sonst nichts zu tun hat, kann sich ja mit Stefanies Hosenserie vergnügen, in der sie über High Rise, Paperbag, Capri, 7/8 und Bermuda aufklärt.

 

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5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Also da hast du jetzt wirklich einen wunden Punkt getroffen! Hosen kaufen ist wirklich eine absolute Tortur und das witzige: Ich kaufe am liebsten meine Jeans, wenn ich in den USA bin, denn da weiß ich: Wenn ich diese Größe dieser Marke (American Eagle btw) nehme, dann passts einfach! Die Amis könnens zwar nicht mit dem metrischen System aber immerhin muss ich dir bei den Größen auch rechtgeben. Das haben sie drauf!
    LG Ina

    Antworten
  • Du hast vollkommen recht. Ich habe Hosen in allen Größen von 38 bis 42 im Schrank und alle passen. Hosenkauf ist eine Qual.

    Antworten
  • Die Inch-Größen sind aber auch keine Passformgarantie: Wenn die Hose mehr oder weniger Elasthan hat oder anders geschnitten ist, kann man trotzdem eine Größe mehr oder weniger brauchen und kann sich dann ebensowenig darauf verlassen wie auf die europäischen Größen.
    Und: Das amerikanische System mit Buchstabengrößen ist wesentlich unzuverlässiger als die europäischen Zahlengrößen – der Spielraum ist viel größer. Eine europäische 38 kann mir zwar zu groß oder zu klein sein, aber ist i.d.R. zumindest in der Nähe einer mir passenden Größe (ich trage im Schnitt 38). Wenn irgendwo XS oder XL dransteht, habe ich nicht mal eine vage Ahnung, ob mir die Größe passen könnte. Der eine Hersteller legt Gr. S als Gr. 34 fest (dann wäre M bei 36), ein anderer Gr. 38/40 (M entspricht dann 42/44). Das ist völlig beliebig und ich muss dann drauf hoffen, dass irgendwo eine Maßtabelle verfügbar ist, um wenigstens einen Anhaltspunkt zu haben (als Hobbyschneiderin kenne ich meine Maße auswendig).

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  • […] nur klassische Trachtenmode ist inzwischen in großen Größen vermehrt erhältlich, sondern auch Designs mit knalligen Farben, besonderen Mustern und […]

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Helmut Achatz

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