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In seinem Buch „Das neue Zeit-Alter“ begründet Lothar Seiwert, „warum es gut ist, dass wir immer älter werden“. Das Buch ist zwar schon von 2014, aber grundsätzlich sind die Gedanken des Zeit-Gurus immer noch gültig. In seinem Buch beschreibt Seiwert, was sich verändern kann, wenn wir unsere Einstellung zum Altern ändern und überdenken.
Aber auch Seiwert kommt nicht drumherum, auf die Demografie einzugehen, genauer gesagt, den demografischen Wandel. Das heißt, die Zahl der Älteren steigt. Seit Erscheinen des Buchs ist allerdings einiges passiert: Durch die Flüchtlingswelle strömen deutliche jüngere Menschen nach Deutschland, die einer Blutauffrischung gleichkommen. Ob wir diese Menschen aus Syrien, Afghanistan und Äthiopien integrieren können, steht auf einem anderen Blatt – ich wünsche es uns allen.
Zahl der Älteren steigt
Dennoch, steigt die Zahl der Älteren. Spätestens in zehn bis 15 Jahren wird der geburtenstärkste Jahrgang 1964 in Rente gehen. Da „rollt ein Tsunami auf uns zu“, wie es Seiwert formuliert. „Wir sind eine Gesellschaft, die nicht nur immer älter, sondern gerade schlagartig steinalt wird“. Der demografische Wandel – ist da. Die Folgen schrecken. Er warnt bereits an dieser Stelle, dass „eine weißhaarige Gesellschaft von Ziellosen, die ihre Zeit vor dem Fernseher, in Sprechstundenzimmern und in Pflegeheimen verbringt, keine überlebensfähige Option ist“.
Auf Probleme durch diesen Wandel will ich hier nicht noch einmal eingehen, schließlich habe ich in diesem Blog schon mehrfach darüber geschrieben, erinnert sei nur an „Wer wo wie lange lebt“, „Lebenserwartung, Hartz IV“. Was heute schon Probleme bereitet, ist die Rekrutierung junger, qualifizierter Mitarbeiter gerade in den MINT-Berufen, wobei MINT für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik steht. Bis die jungen Flüchtlinge so weit sind, dass sie diese Lücken füllen können, wird es dauern – und kosten. Die Rente mit 63 hat dieses Problem noch verschärft.
Krieg der Generationen?
Seiwert malt im ersten Teil seines Buchs eine düstere Zukunft. Seine Kernsätze: „Immer weniger Junge müssen immer mehr Alte finanzieren. Das Problem dabei – wer die Mehrheit hat, hat die Macht. Und das sind nicht mehr die, die den Wohlstand erwirtschaften, sondern ihn verbrauchen – die Alten“. Der zweite: „Der Krieg der Generationen hat begonnen. Die Jungen werden mehr und mehr zur Kasse gebeten bis über die Schmerzgrenze hinaus – und irgendwann die Rentner sogar rückwirkend.“ Gut, mal schauen, wie gesagt – im Moment ändert sich das Land, auch mit Auswirkungen auf die Altersstruktur.
Seiwert will uns aber nicht ohne Hoffnung entlassen: Wir haben „die zweite Luft“, wie ein Taucher, der eine Ersatzfläche auf neun Meter Tiefe hängt, um den Druckausgleich gemütlich und ohne Atemnot durchsteht. Das heißt bezogen auf uns Babyboomer: Es ist noch „eine Menge für jeden von uns drin“, so Seiwert. „So langsam beginnen wir das zu realisieren.“ Der Ruhestand in seiner bisherigen Form habe ausgedient. Wir können es Seiwerts Meinung nicht mehr leisten, einfach so herumzuhängen und zu chillen. Das sei verschwendetes Leben und totes Kapital. Als Schluss mit dem Ruhestand – aus dem wird der Un-Ruhestand.
Altersgerechte Arbeitsplätze
Seiwert plädiert für eine „reife Wirtschaft“. Das klingt ambitioniert, so recht zieht die Wirtschaft aber noch nicht mit. Es gibt positive Beispiele, aber viele Unternehmen wollen die Älteren immer noch am liebsten so schnell wie möglich loswerden. In Nordeuropa scheint das indes besser zu funktionieren als in Deutschland. Seiwerts Kernsätze sind: „Neue Arbeitszeitmodelle entlasten unser gesamtes Leben – das gilt für alle Generationen“, dann: „Ältere Arbeitskräfte sind gefragt wie nie. Was sie an Erfahrung und Wissen mitbringen, wiegt mögliche körperliche oder kognitive Defizite auf“ – und: „Aktive Gesundheitsvorsorge und lebenslange Lernen erhöhen die Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitern“. Na ja, ob das gilt: „gezielte Umbauten am Arbeitsplatz und altersgerechte Schulungen machen Unternehmen für ältere Arbeitnehmer attraktiv“?
Produktiv für die Gesellschaft
Aber auch für die Rentner hat Seiwert eine bittere Wahrheit: „Das Geld, das die kommenden Rentnergenerationen während ihrer Lebensarbeitszeit volkswirtschaftlich aufbrachten und zur Vorsorge abführten, wird nicht reichen, einen so langen Lebensabend, wie er heute üblich ist, zu finanzieren. Die ganze Sache rechnet sich nicht, wie … Es gibt also schon allein eine wirtschaftliche Notwendigkeit, dass die über 65-Jährigen künftig weiter zur Wertschöpfung beitragen – ob nun durch einen späteren Renteneintritt, durch Zuverdienst neben der Rente oder durch eine gesellschaftliche Lösung wie ein Pflichtjahr mit unentgeltlicher Arbeit. Die Rente muss gesamtwirtschaftlich gegenfinanziert werden, denn die junge Generation ist damit schon rein zahlenmäßig überforder.“ Der Pop-Philosoph David Precht hatte ja mal sogar das „soziale Pflichtjahr für Senioren“ gefordert. Davon ist mittlerweile keine Rede mehr, aber etwas muss sich ändern.
Einige Senioren agieren bereits als Mentoren, Tutoren oder Lehrer, um schwachen Schülern zu helfen sowie Flüchtlingen Deutsch zu lehren. Das ist ein Anfang, immerhin. Es wird noch mehr Engagement brauchen.
In seinem Schlusswort plädiert Seiwert, „den Pakt der Generationen neu zu überdenken“. Dem ist nichts mehr hinzufügen.
Ein paar Literaturtipps von Seiwert:
- Grün, Anselm: Die hohe Kunst des Älterwerdens, Deutscher Taschenbuchverlag
- Mika, Basch: Mutprobe – Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden, Bertelsmann
- Scherf, Hennig und Uta von Schrenk: „Mehr Leben“, Herder
- Schirrmacher, Frank: Das Methusalem-Komplott, Heyne
- Schechner, Erich: War’s das, Kösel
- Schmid, Wilhelm: Gelassenheit, Insel
- Seiwert, Lothar: Die Bären-Strategie, Ariston
- Welser, Maria von: Heiter weiter!, Südwest
- Wittmann, Marc: Gefühlte Zeit, C.H.Beck
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