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Altern ist ein Privileg – das hat die Schriftstellerin und Literaturkritikerin Elke Heidenreich erkannt und in ihrem Buch „Altern“ auf den Punkt gebracht.
Mit einem Buch übers „Altern“ auf Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste? Wenn das jemand schafft, dann Elke Heidenreich. Denn, wir werden alle älter – und viele sind schon alt. Aber niemand hat es uns beigebracht. Höchste Zeit, stilvoll darüber nachzudenken – in aller Unaufgeregtheit. Wer könnte das bessere als die vor allem durch ihre Literaturkritik bekannt geworden Heidenreich, die aber weit mehr ist als nur Literaturkritikerin!
Wie altern geht
Was zu dem Erfolg des Buchs beigetragen hat: Einer 81-Jährigen glaubt jeder, dass sie weiß, wovon sie schreibt. Alle wollen alt werden, niemand will es sein – ist das nicht absurd? Auf 112 Seiten schafft sie es, uns älteren Mut zu machen, froh zu sein, dass wir noch sind und noch leidlich mit uns und unserer Umwelt zurechtkommen. Wir müssen niemand mehr etwas beweisen, können uns unsere Zeit nach unserem Gusto einrichten, müssen schon lange nicht mehr um sechs Uhr aufstehen und haben keinen Chef mehr, der uns etwas vorschreibt. Das Alter ist dafür da, sich um sich selbst zu kümmern.
Das Glück des Altwerdens
Gleich am Anfang ihres Buchs „Altern“ hält sie uns ein halbleeres und halbvolles Glas vor Augen – wir können es uns aussuchen, wie wir unser Leben sehen. Da hilft auch ein Blick zurück – hoffentlich mit Dankbarkeit über das Erlebte und ein bisschen mit Erstaunen. Wie war das noch mal mit der ersten Liebe, mit den Männer und den Mädels, mit Herzeleid und Liebeskummer? Heidenreich beschreibt das ohne großes Geschwurbel und bringt die Stimmung von damals auf den Punkt. „Aus der Summe glücklicher Augenblicke setzt sich das Glück des Lebens zusammen“, das zu erkennen ist, Glück des Alters und Altwerdens. Höchste Zeit, dafür dankbar zu sein.
Es sind die kurzen, knappen Sätze wie „Hier sitze ich und atme – und altere“, die einen Schmunzeln lassen beim Lesen. Wer sie schreibt, muss viel gelesen haben, um sie schreiben zu können – und das hat Elke Heidenreich. Sie hat vieles ausgelotet und erlebt – und erkannt: Das schlimmste, was uns passieren kann, ist, an dem Satz „Was wäre, wenn …“ hängenzubleiben. Mit Pragmatismus erleichtern wir uns das Leben: „Wichtig ist, nie bitter zu werden über Fehler, Verpasstes, falsche Entscheidungen“, sagt sie in einem Interview mit dem „Münchner Merkur“. Wohl wahr!
Das Leben ist keine Generalprobe
„Unser Leben ist schließlich keine Generalprobe für irgendwas, das noch kommt“, schreibt sie in ihrem Buch. Allein das ist schon Ansporn genug, etwas draus zu machen. Das Leben will gelebt werden. Schön, wenn wir uns dankbar daran zurückerinnern, vielleicht nicht zu viele Fehler gemacht zu haben. Sie schreibt indes auch ein, wie schwer es ihr fällt, loszulassen und viele Erinnerungsstücke gesammelt. Sympathisch. „Denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck“, singt Stefanie Kloß von „Silbermond“. Auch eine Elke Heidenreich kann noch etwas dazulernen – und wenn es nur das Entrümpeln ist, zu dem sie nicht den Mut habe, wie sie selbst einräumt.
Aber gut, so ist es eben – und auch das ist in Ordnung. Wir müssen im Alter niemand mehr etwas beweisen, aus das ist Heidenreichs Botschaft in ihrem Buch „Altern“. Aber gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir nicht enteignet werden. Das heißt indes, am Ball zu bleiben, die Gegenwart zu leben und nicht die Vergangenheit – und das bedeutet ein „waches an ihr Teilnehmen“.
Jeder altert anders
Heidenreich hat vieles und viele gesehen, was in der Überlegung mündet, dass wir nicht gleich altern: „Es gibt multimorbide achtzigjährige und solche, die den Marathon mitlaufen“. Es ist alles andere als erstrebenswert, zur ersten Gruppe zu gehören. Das Lernen sollte im Leben nie aufhören, sonst hören wir auf. Es liege an uns, ob wir als nutzlos oder wertvoll gelten. Denn, „wir tragen die Verantwortung für unser Leben“.
Elke Heidenreich nimmt das persönlich und kann dabei auch ganz schön heftig werden: „Das nächste Mal also feiert ohne mich“. Gesellschaft ja, aber in Maßen – und die bestimmt jeder von uns Alten allein.
Elke Heidenreich über ihr Buch
Natürlich kommt zwangsläufig die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ihre Antwort: „Der Sinn des Lebens ist, das Leben zu leben“. Sie verweist dabei auf die Japaner, die dafür das Wort „Ikigai“ haben, wobei „Iki“ für Leben steht und „gai“ für Sinn – eine Kombination von Leidenschaft, Berufung und Beruf. Vielleicht auch eine Erkenntnis ihres Buchs: Wir Alten „sind nicht mehr zuständig – die Sachen ins Lot bringen müssten die Jungen, so wie wir es früher auch mussten“.
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Ein Mutmacher-Buch
Ein bisschen Kritik am Ende: So ein bisschen Gliederung wäre nicht schlecht gewesen – ein paar Kapitel mit entsprechender Überschrift, einige Zwischentitel, vielleicht auch ein Epilog. Zum Glück sind es nur 112 Seiten. Die eingestreute Illustration erscheint etwas beliebig und der Nachruf hätte durchaus typografisch etwas aufgepeppt werden können.
Insgesamt, ein ehrliches und kompaktes Büchlein übers Altern – zum Ermutigen von uns Alten und den noch Nicht-ganz-so-Alten.
Altern, Elke Heidenreich
Hanser Berlin
Gebundene Ausgabe 112 Seiten
ISBN-10: 3446279644
ISBN-13: 978-3446279643
Bild: Screenshot Video HanserVerlag
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