Warum die documenta viele ratlos zurück lässt

Leben

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Schwer, schwerer, documenta – die documenta 14 in Kassel und Athen lässt viele ratlos bis verstört zurück. Genau das ist es, was der künstlerische Leiter der documenta Adam Szymczyk wollte: Weg mit dem Sinn. Kunst ist sinnlos, unsinnig – „unlearnig“ das Ziel. Es lebe das „transformative Potenzial des Alltäglichen“, so die Einleitung zur documenta 14.

Keiner kommt von einem Besuch so zurück, wie er weggefahren ist, so das Fazit nach dem Besuch der documenta 14 in Kassel, die noch bis zum 17. September 2017 läuft – in Anlehnung an das Zitat von Graham Greene.

Wie kommt die documenta 14 an? Bei den meisten offensichtlich gut bis sehr, zumindest lässt darauf die facebook-Bewertung schließen. Von 1256 documenta-Besuchern bekam die documenta 14 immerhin 4,2 Sterne von fünf Sternen. Allerdings gaben auch 119 der document nur einen Stern. Jutta Jopke meint in facebook, sie sei noch nie von einer documenta so enttäuscht gewesen wie dieses Jahr – „dieses Jahr ist wirklich tragisch schlecht“. „Adam Szymczyk, das ist dir miserabel misslungen!“.

Bilder von der documenta 14 Kassel 2017

Aber vielleicht war das ja genau die Absicht des documenta-Kurators. Szymczyk zufolge ist „learning“ auch „unlearning“. Seine Strategie war es zu vermeiden, für irgend Etwas zu stehen, wie es „Sleek-Mag“ formuliert. Szymczyk verweigert jeden Anspruch oder jedes Argument – das sei ein bedeutungsloses Paar von Doppelaussage ähnlich Ludwig Wittgensteins berühmtem Satz „Es regnet entweder oder es regnet nicht“. Belanglos, um es auf einen Nenner zu bringen.

BEINGSAFEISSCARY

Die beste Art, sich der Ausstellung zu nähern, sei, zu verlernen, was wir glauben zu wissen, zitiert Kolja Reichert von der „Frankfurter Allgemeinen“ den Kurator Szymczyk. Selbstverleugnend und selbstvergessend durch Kassel ziehen – das ist vielleicht das beste Rezept. Nichts zu erwarten und alles zu hoffen – vielleicht ist das auch ein Ansatz. Das fängt schon damit an, dass der documenta-Besucher rätselnd vor der Giebelaufschrift – von Banu Cennetoglu – des Fridericianums steht und sich fragt, was BEINGSAFEISSCARY heißt. Irgendwann wird ihm dann jemand erklären, dass damit „being safe is scary“ gemeint ist, was auf deutsch so viel wie „sicher sein ist gruselig“ heißt. Das Gegenteil wäre dann: gehetzt zu sein, ist behaglich.

Kassel und Athen

Die documenta 14 findet 2017 ja nicht nur in Kassel statt, sondern zeitlich versetzt parallel in Athen. Das heißt, der documenta-Besucher hätte am besten pendeln sollen. Sieht so der neue Kunst-Tourismus aus? Dann aber ist Kritik an Umweltzerstörung fehl am Platz.

Eigentlich erwartet der documenta-Besucher zeitgenössische Kunst. Ok, die kommt auch vor, aber Szymczyk greift auch tief in andere Kisten – Leichtbaumodelle aus den 60er-Jahren und Ölbilder aus dem 19. Jahrhundert wie Louis Gurlitts Akropolis. Natürlich könne man darüber diskutieren, ob das wirklich große Kunst sei, zitiert das Kunstmagazin „art“ den Kurator Dieter Roelstraete, aber „wir zeigen sie als Teil einer Debatte“. Vielleicht ist ja „Debatte“ zeitgenössische Kunst? Oder doch nicht? Die Ausstellung sei keine Ausstellung, sondern eine Ansammlung von irgendwelchen Objekten, bei denen der Affekt und Sentimentalität mehr zählen als stichhaltiges Engagement, schreibt das Sleek-Mag. Nur wenige Kunstwerke entziehen sich der verquasten Banalität dieser documenta.

Map – mehr Labyrinth als Orientierung

Szymczyk ist irgendwie unbehaglich bei Kunst. Vielleicht ist es auch die Mammutaufgabe, zwei Orten unter einen Hut zu bringen – und das Ganze noch bis zu einem bestimmten Stichtag. Wer weiß.

Dabei hätte es so einfach sein können – für ihn und die Besucher. Die documenta-Halle ist eines der wenigen gelungenen Hängungen, die dem Besucher so etwas wie eine Ahnung vermitteln, worum es bei zeitgenössischer Kunst geht.

Nein, einfach macht es Szymczyk sich und den documenta-Besuchern beileibe nicht. Das fängt schon mit der Karte an, die eher einer Strichzeichnung gleicht. Einzige Hilfe ist der bescheidene Maßstab am rechten unteren Rand: „100 m“ steht da, das soll genügen, um sich zurechtzufinden. Auf der Karte sind die Ausstellungsorte nur mit Punkten vermerkt, die zuzuordnen einem Puzzle gleicht. Straßennamen? Wen interessiert das schon. Das geht soweit, dass documenta-Besucher einige Orte schon gleich gar nicht finden. Wer es bis zum Gießhaus geschafft hat, ist zu beglückwünschen, denn der Wegweiser ist verbogen und weist in die falsche Richtung. Dort angekommen, erwartet den documenta-Besucher eine unsägliche Mehrkanal-Video- und Klanginstallation – gefühlte stundenlange Schwenks an Feldzäunen in Griechenland. Aber vielleicht ist das ja auch Szymczyks Absicht, um dem documenta-Besucher jegliche Orientierung zu rauben und ihm die Sicherheit zu nehmen?

Was ist Kunst?

Was ist Kunst? Das, was sich die documenta als solche ausweist oder ein Besetzer-Konglomerat im Nordstadtpark beispielsweise? Irgendwo steckt ein documenta-Schild im Rasen. Jeder kann selbst rätseln, ob die Bretterbude dazu gehört oder nicht.

Wie kommt der documenta-Besucher überhaupt zu den einzelnen Orten? Egal! Irgendwie wird er sich schon durchlavieren. Dabei lernt er zumindest Kassel kennen. Aber mit solchen Banalitäten will sich Szymczyk sowieso nicht beschäftigen, denn für ihn verkörpert die documenta „einen dediziert anti-essentialistischen Ansatz, der den heute vorherrschenden Verfahren der Spektakelproduktion und deren Zuschauerrolle jeden Respekt verweigert“. Alles klar?

Müll wird zu Kunst, Kunst zu Müll

Dumm nur für den documenta-Besuchern, denn der kann sich schon mal verirren angesichts der 35 Orte in Kassel – vom Gießhaus bis zum Glas-Pavillon auf der Kurt-Schumacher-Straße. Und gelegentlich fragt sich documenta-Besucher, wo er eigentlich ist. Da verwandelt sich schon mal ein Müllplatz zum documenta-Anhängsel oder 80 Tonnen Stahlbarren werden als Schrott verkannt. Da drängt sich zwangsläufig die Geschichte von der Plastik des Künstlers Martin Kippenberger auf: Eine Putzfrau hatte sie im Dortmunder U-Turm versehentlich entsorgt – sie hatte das Werk als Müll angesehen. Von daher stammt der Spruch: „Ist das Kunst oder kann das weg?“. Diesen Spruch haben die Bretterbudenbauer im Nordstadtpark umformuliert zu „Das ist Kunst, das muss bleiben“.

Rentierschädel und Pin-up-Girls

Bei aller Kritik – lasst euch die documenta nicht verdrießen, ein paar berührende Stücke sind dabei. Wie sagt doch die Hamburger BusinessMuse Birgit Dierker zu ihrem Besuch in Kassel: „Ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos“. Ihr hat übrigens die Arbeit des Londoner Künstlers Theo Eshetu in der Hauptpost besonders gefallen – mir auch.

Wer sich gruseln will, biegt in der Hauspost nach dem Eingang links ab und schaut in Hunderte leerer Rentieraugen. Máret Ánne Sara hat einen Wandteppich aus Rentierschädel aufgehängt, die aus ihrer eigenen Herde stammen. Sara gehört zu den Samen, die von der norwegischen Regierung gezwungen wurden, ihre Bestände zu reduzieren.

Die documenta bietet eben für alle etwas: Vom Pin-up-Girl bis zur Gitarre malischer Bluesmusiker, von bewohnbaren Betonröhren bis zu den Holzmasken der Kwakw’ala – ein unerfindlicher Kunst-Flohmarkt.

Viel Spaß beim Stöbern. Bitte nicht enttäuscht sein, wenn nur wenig Brauchbares dabei ist.

 

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Helmut Achatz

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